„Keine Beteiligung an Armutsverwaltung“

Interview mit Claus Ludwig, Kölner Ratsmitglied der LINKEN. Zur Finanzkrise der Kommunen und zu den Aufgaben linker KommunalvertreterInnen


 

In mehreren Bundesländern stehen Kommunalwahlen an. Die SAV Rostock kandidiert mit einer eigenen Liste bei den Wahlen in Rostock am 7. Juni. Zu dieser Entscheidung kam sie, nachdem die Linkspartei leider zu keinen Gesprächen über eine mögliche gemeinsame Kandidatur bereit war. Zu diesem Schritt sah sich die Rostocker SAV mit ihrer Bürgerschaftsabgeordneten Christine Lehnert gezwungen, um sicherzustellen, dass die außerparlamentarischen Bewegungen auch künftig im Rathaus Unterstützung finden. Bei den ebenfalls am 7. Juni stattfindenden Wahlen in Stuttgart sowie bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen Ende August kandidieren SAV-Mitglieder auf den Listen der Partei DIE LINKE. Aron Amm sprach für die „Solidarität“ mit Claus Ludwig, Mitglied des Kölner Rates und Kandidat auf Platz 4 der Liste der Kölner LINKEN.

Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg werden mehr linke KandidatInnen in die Kommunalvertretungen einziehen als bei der letzten Wahl. Welcher finanziellen Lage sehen sich diese gegenüber?

Die finanzielle Situation in vielen Städten war mies. Dieses Jahr wird es dramatisch. Je nach Bundesland werden zwischen 15 und 25 Prozent Minus bei der Gewerbesteuer und den Landeszuweisungen erwartet.

Das wird für viele Städte bedeuten, dass sie mit dem Haushaltsjahr 2010, spätestens 2011, in die sogenannte „Haushaltssicherung“ oder sogar den „Nothaushalt“ gehen. Bei einem Nothaushalt werden alle freiwilligen Leistungen, zum Beispiel Hilfen für freie Träger im Sozial- und Kulturbereich oder Maßnahmen, welche die Auswirkungen von Hartz IV abfedern, automatisch gestrichen.

Ohne Zweifel stehen wir vor einer Welle von massiven Sozialkürzungen und dem Ausverkauf des kommunalen Tafelsilbers durch Privatisierung.

Ist diese Dramatik in Köln schon spürbar?

Bis in den Mai hinein herrschte hier die Ruhe vor dem Sturm. Die Kämmerei, die kommunale Finanzverwaltung, wunderte sich selbst, dass die Gewerbesteuerprognosen relativ stabil blieben. Doch die neueste Prognose von Ende Mai geht von einem Minus von über 20 Prozent im nächsten Jahr aus, die Mindereinnahmen sollen für die Stadt Köln bis zu 227 Millionen Euro betragen. Es kann schon in diesem Jahr zu einer Haushaltssperre kommen.

Dabei befindet sich Köln in einer vergleichsweise guten Situation. In den letzten Jahren war die Gewerbesteuer massiv gestiegen, so dass die strukturelle Unterfinanzierung des Haushaltes überdeckt wurde. Größere Kürzungen gab es seit 2003 nicht. Viele Städte im Ruhrgebiet sind in einer weit schlechteren Lage, dort kamen schon in den letzten Jahren soziale Leistungen unter Druck.

Die Kommunen sind das schwächste Glied in der Kette der öffentlichen Haushalte. Warum?

Die kommunalen Haushalte sind strukturell unterfinanziert, das sagen sogar die bürgerlichen Politiker im Deutschen Städtetag und die Kämmereien. Das hat verschiedene Ursachen. Erstens: Auf der Einnahmeseite hängen die Städte und Gemeinden größtenteils von der Gewerbesteuer ab. Sinkt diese im Zuge der Rezession, reicht das schon für den kommunalen Finanznotstand. Zweitens: Die Kommunen finanzieren die Sozialausgaben zu einem großen Teil, zum Beispiel seit Hartz IV die „Kosten der Unterkunft“. Selbst während des Wirtschaftswachstums der letzten Jahre sind diese gestiegen. Die jetzt heran rauschende neue Welle der Massenarbeitslosigkeit wird alle Etats sprengen. Drittens: Bund und Länder haben den Kommunen immer neue Aufgaben aufgebürdet, ohne dafür Gelder zur Verfügung zu stellen, beispielsweise bei der Kinderbetreuung. Die Steuergeschenke an die Reichen auf Bundesebene wurden somit über die Kommunen finanziert. Diese sind der Teil des Staates, der unmittelbar den Folgen der kapitalistischen Krise ausgesetzt ist.

Das heißt, es ist egal welche Politik vor Ort gemacht wird, am Ende können grundlegende Veränderungen nur auf Bundesebene erreicht werden?

Überhaupt nicht! So wollen es die Etablierten darstellen. Aber ihre Politik hat die Lage weiter verschlimmert. Vor Ort wurde die Plünderung der öffentlichen Kassen zu Gunsten privater Investoren fortgesetzt. Köln ist ein gutes Beispiel dafür. Die sogenannte „Stadtentwicklung“, nahezu alle großen Bauprojekte in den letzten Jahren, dienten nicht der Bevölkerung, sondern den jeweiligen Investoren, den Kredit gebenden Banken, den Baukonzernen und nicht zuletzt den Politikern und Vorständen städtischer Unternehmen, die sich über „Beraterverträge“ die Konten gefüllt haben.

Allein die überteuerten Messehallen, die vom Oppenheim-Esch-Immobilienfonds gebaut wurden und an die städtische Messe vermietet werden, belasten den Haushalt der Stadt mit rund 25 Millionen Euro im Jahr.

Die überflüssige und verkehrspolitisch schädliche Nord-Süd-U-Bahn, die wegen des tödlichen Desasters in der Severinstraße bundesweit bekannt geworden ist, würde auch ohne den Unfall die Stadt auf 35 Jahre mit rund 25 Millionen Euro jährlich belasten. Der Unfall wird möglicherweise zur Verdoppelung dieser Kosten führen.

Die Liste könnte weitergeführt werden: Köln-Arena/Technisches Rathaus, Ausbau des Godorfer Hafens…

Welche finanziellen Spielräume gibt es für linke Politik in den Kommunen in dieser Situation? Was sollten Kommunalvertreter mit einem linken, mit einem sozialistischen Anspruch machen, wenn sich die Chance bietet, in der Kommune mit zu regieren?

Aufgrund der relativ entspann-ten Situation des Kölner Haushalts konnte DIE LINKE hier einige kleine Verbesserungen wie den Köln-Pass für Erwerbslose und Niedrigverdiener anstoßen und über die Arbeit im Rat durchsetzen. SPD und Grüne hatten sich zeitweise die soziale Tarnkappe übergezogen, um ihr angekratztes Image aufzupolieren und stimmten für einzelne Maßnahmen. Daraus haben einige in der LINKEN die Schlussfolgerung gezogen, man könne durch „kluges Handeln“ im Stadtrat Einiges erreichen. Zukünftig wird das nicht gehen. Alle bürgerlichen Parteien werden versuchen, den Haushalt auf Kosten der Bevölkerung zu sanieren. Und der zukünftige grüne Kämmerer wird dabei an vorderster Front stehen.

Wer als Linker „mitregieren“ will, würde schnell dabei landen, mit der einen Hand bestenfalls Almosen oder symbolische Sozialbonbons zu verteilen und mit der anderen Hand brutale Kürzungen durchzusetzen. Wer sich auf die „Sachzwänge“ der kommunalen Armutsverwaltung einlässt, wird schnell die Glaubwürdigkeit als soziale Opposition verlieren wie DIE LINKE in Berlin. Von einem „Mitregieren“ kann ich nur warnen. Es geht in den nächsten Jahren darum, die kommunalen Mandate zu nutzen, um die Bewegung in den Betrieben, Schulen, Unis und Stadtteilen vorwärts zu bringen. Ohne Widerstand, ohne Selbstorganisation von unten, werden wir auch die ohnehin ausgedünnten sozialen Dienstleistungen nicht verteidigen können.

Das hört sich so an, als wäre eine konkrete Kommunalpolitik von links gar nicht möglich. Sollen linke Kommunalvertreter lediglich auf die Notwendigkeit verweisen, den Kapitalismus weltweit abzuschaffen?

Konkrete sozialistische Kommunalpolitik ist absolut möglich! Aber sie muss eben sozialistisch sein. Es reicht nicht, im von den etablierten Parteien gesetzten Rahmen diese oder jene kleine Verbesserung zu verlangen. Die Linke muss den Menschen offen sagen, dass es Veränderungen vor Ort nur geben kann, wenn die gesamte Ausrichtung des städtischen Haushaltes geändert wird.

Es müssen mehr Gelder von Bund und Ländern erkämpft werden. Das geht nicht mit Pressemitteilungen des Städtetages, sondern nur mit einer Massenmobilisierung der Menschen vor Ort. Damit die Kommunen finanziellen Handlungsspielraum gewinnen, um die nötigen Investitionen in Jobs und soziale Dienste zu finanzieren, müssen Prestigeprojekte gestoppt werden. Die Städte müssen aus laufenden Verträgen mit Privatinvestoren raus. Zur Not müssen die Kommunen ihre Kredittilgung an die Banken aussetzen oder einen Zinsstopp verhängen.

All diese Maßnahmen führen zu einem massiven Konflikt mit den etablierten Parteien und der staatlichen Bürokratie vor Ort und bundesweit. Sie erfordern Aufklärung und Mobilisierung. Konkrete Verbesserungen sind möglich, aber allein die Verteidigung des Bestehenden erfordert einen entschlossenen Kampf. Dabei können die linken Kommunalvertreter eine wichtige Rolle spielen, aber sie sollten nicht der Illusion anhängen, dass sie diesen Kampf überwiegend in den Stadträten führen können. Insofern gilt: nicht Ausruhen auf den gewonnenen Mandaten und nicht Abtauchen im kommunalen parlamentarischen Sumpf, sondern Nutzen der Mandate für die Vorbereitung zu erwartender sozialer Kämpfe in der Kommune. ν