Nach langem Hin- und Her haben sich Union und SPD auf ein neues Wehrdienstgesetz geeinigt, das einen ersten Schritt in Richtung Wehrpflicht darstellt. Ab 2026 werden alle jungen Menschen ab Jahrgang 2008 einen Fragebogen erhalten, der Motivation und Eignung für die Bundeswehr abfragt. Alle Menschen mit männlichem Geschlechtseintrag müssen diesen verpflichtend ausfüllen. Die Musterung – eine medizinische Untersuchung mit dem Zweck, die Fähigkeit zum Wehrdienst zu überprüfen – soll ab 2026 schrittweise eingeführt werden. Ab 2027 müssen alle Menschen mit männlichem Geschlechtseintrag verpflichtend zu einer vollumfänglichen Musterung, unabhängig vom Interesse.
Der Wehrdienst ist in diesem Gesetzentwurf noch freiwillig. Es sollen Zielmarken zum Aufbau der Bundeswehr gesetzlich verankert und alle sechs Monate überprüft werden. Werden diese Zielmarken nicht erreicht, kann das Parlament ab 2027 eine sogenannte Bedarfswehrpflicht beschließen – dann würde ein Teil der Gemusterten notfalls per Zufallsverfahren zum Dienst verpflichtend eingezogen. Der neue Wehrdienst soll mindestens sechs Monate dauern oder deutlich länger. Freiwillig Wehrdienstleistende bleiben bei einer Verpflichtungsdauer von sechs bis elf Monaten im Status der Wehrdienstleistenden. Die Verpflichtungsdauer von mindestens einem Jahr geht einher mit dem Wechsel in den Status der*s “Soldat*in auf Zeit”. Gelockt wird mit Zuschüssen für PKW- und LKW-Führerschein, aber dieser Status beinhaltet auch die Verpflichtung zu Auslandseinsätzen.
Der Koalition ist klar, dass sie im ersten Schritt die Infrastruktur aufbauen müssen und sie wollen nicht riskieren, sich direkt mit der gesamten Jugend anzulegen, daher kommt die Wehrpflicht scheibchenweise. Gleichzeitig sagen sie schon jetzt, dass der Zwangsdienst kommen wird, wenn sich nicht genügend freiwillig melden zum Schießen und Erschossenwerden für den Wirtschaftsstandort.
60% der Jugendlichen lehnen den Wehrdienst ab, 54% sind schon sicher, dass sie verweigern würden, und die Zahlen werden mit den neuen Plänen der Regierung nicht kleiner werden. Es kommt jetzt darauf an, den Widerstand vorzubereiten.
Kampagne gegen Wehrpflicht – aber wie?
- Breit aufstellen:
Es braucht Akteur*innen, die einen Großteil der Jugend erreichen können, bundesweit und wahrnehmbar. Jetzt müssen insbesondere in der Partei Die Linke Initiativen ergriffen werden: AGen gegen die Einführung der Wehrpflicht auf Bezirks- oder Stadtebene gründen. Die Jugendverbände Linksjugend Solid, den SDS und Junge Linke Gruppen kampagnenfähig machen. Die Gewerkschaftsjugenden kontaktieren und in ihnen für Beteiligung kämpfen. Einfordern, dass die Kampagne gegen die Wehrpflicht so detailliert ausgearbeitet und so gut ausgestattet und unterstützt wird wie die Mietenkampagne. Wir haben eine Verpflichtung, die Ablehnung der Wehrpflicht bei der Mehrheit der Jugend in Organisierung und Widerstand zu verwandeln. - Sofort anfangen:
Wenn die Argumente gegen Militarismus, Aufrüstung und Wehrpflicht erst nach den Jugendoffizieren und den Werbeoffensiven der Bundeswehr in Sozialen Medien, nach den gutbezahlten und PR-geschulten Influencer-Videos in den Schulen ankommen, werden viele Gegner*innen der Wehrpflicht bereits eingeschüchtert sein. Wir brauchen spätestens im Frühjahr Schüler*innenzeitungen, lokale Aktionsgruppen, Schulungs-Angebote für Aktivist*innen, massenhafte Aufkleber, Plakate, Stencil-Vorlagen etc. Strategien und Argumente müssen vorher diskutiert werden. Die SAV hat dafür mit der Broschüre „10 Fragen – 10 Antworten zum Neuen Militarismus“ Material zur inhaltlichen Schulung vorbereitet und kann Referent*innen zu dem Thema stellen. - Kollektiv organisieren:
Es ist super, dass Jan van Aken angeboten hat, dass alle Jugendlichen Beratungsangebote zur Wehrpflichtverweigerung durch die LINKE bekommen. Aber Aufrüstung und Militarisierung werden nicht dadurch verhindert, das einzelne Jugendliche für ein paar hundert Euro Dumpinglohn in irgendeiner neuen Art Zivildienst geparkt werden während Bundeswehrrekrut*innen mit 2700 Euro (ca. 2300 Euro Netto) in den Dienst geködert werden. Nötig sind Anti-Wehrpflicht-Kongresse, öffentliche und massenhafte Versammlungen von Jugendlichen und Aktionen an zentralen Plätzen, zu denen Die Linke, Solid und alle solidarischen Aktivist*innen an Schulen und Hochschulen mobilisieren und reichweitenstarke Social-Media-Kampagnen nutzen. Stellt euch vor, Heidi Reichinnek bietet ihren Follower*innen auf TikTok Mitte Februar an, das sie Aufkleber, Flyer oder eine Schüler*innenzeitung zugeschickt bekommen können, samt Mobilisierung zu örtlichen Treffen gegen Wehrpflicht. - Sozialistisch & Feministisch denken:
Selbst wenn der Dienst an der Waffe größtenteils Leute mit männlichem Geschlechtseintrag treffen sollte: Antimilitarismus ist ein feministisches Thema. Jede ideologische Militarisierung geht einher mit der Normalisierung von Gewaltstrukturen, die Flinta-Personen im Alltag stärker betreffen. Entmenschlichung und Objektifizierung sind Werkzeuge der Herrschenden, die sowohl Militarismus wie patriarchale Denkstrukturen krass fördern. Ein möglicher „Gesellschaftsdienst” wird einhergehen mit einer Propaganda das „echte Männer zum Bund gehen und nicht alten Menschen den Hintern abwischen” Ein Ersatzdienst senkt durch die Zuführung billiger Arbeitskräfte den Durchschnittslohn in Care-Berufen. - Niemanden aufgeben:
Es kann sein, dass wir die Einführung der Wehrpflicht nicht verhindern. Aber Sozialist*innen wissen aus der Geschichte, das die Erfahrung im Krieg auch einstmals überzeugte Soldat*innen zu Antimilitarist*innen machen kann. Die Matrosen, die 1918 das Signal zur Novemberrevolution gegeben haben, sind 1914 größtenteils begeistert in den Ersten Weltkrieg gezogen. Die Erfahrung der Verbrechen der USA in Vietnam hat Zehntausende GIs zu Kriegsgegnern gemacht. Das heißt: Wir kämpfen zunächst für die Verhinderung der Wehrpflicht. Wir machen aber auch Vorschläge, die es Soldat*innen erleichtern, Befehle in Frage zu stellen oder zu verweigern, wie z.B.: Uneingeschränktes Recht auf gewerkschaftliche und politische Betätigung bei der Bundeswehr, Rede und Versammlungsfreiheit. Wir brauchen eine Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisierung der einfachen Soldat*innen, für das Recht demokratische Soldat*innen-Komitees auf allen Ebenen zu wählen, die die Interessen der einfachen Soldat*innen vertreten.
Denn eines gilt sowohl im Widerstand gegen die Einführung der Wehrpflicht als auch für Soldat*innen: Wir als arbeitende Klasse müssen lernen, selber zu denken und für unsere Rechte zu kämpfen, denn es rettet uns nunmal kein höh`res Wesen.

