Viele Mitglieder und Unterstützer*innen der Linken waren erleichtert, als die Vorsitzende Ines Schwerdtner ankündigte, die Partei würde am 19. Juli eine bundesweite Demo gegen das Morden in Gaza organisieren. Endlich! Dann kam die Absage. Warum tut sich die Partei so schwer mit dem Kampf gegen den Genozid?
Von Claus Ludwig, Köln
Die Führung der Partei hat über ein Jahr lang weggeguckt. Sie hat sich erst bewegt, nachdem die Stimmung in der Bevölkerung gekippt und Netanyahu sowie die Bundesregierung und die Medien der Lüge überführt waren und 73% in einer Umfrage sagten, in Gaza würde ein Genozid stattfinden. Die Partei hat nicht geführt, sondern ist bestenfalls der Bewegung hinterher getrabt. Bis heute gibt es immer noch Funktionär*innen der Partei, die auf Vorschläge für Demos und Aktionen mit „aber der 7. Oktober …” reagieren.
Am 17. August hat sich der Vorsitzende Jan van Aken in einem Tagesschau-Interview von einer Solidaritätsveranstaltung der Linke in Berlin-Neukölln distanziert, mit dem Verweis auf „Hamas”, und ist damit den Genoss*innen dort in den Rücken gefallen, die seit Wochen einer Verleumdungskampagne unter Führung der Springer-Presse ausgesetzt sind. Die reaktionäre islamistische Organisation wird von Parteifunktionär*innen wie ein Gespenst aus der Geisterbahn benutzt. In der Realität taucht sie nicht auf. Die Veranstaltung der Linken Neukölln mit 500 Teilnehmenden war klar links und internationalistisch.
Neue Mitglieder wollen Kurswechsel
Nicht nur in Neukölln sind Linke-Mitglieder aktiv in der Gaza-Solidarität. Die Europa-Abgeordnete Özlem Demirel ist stark engagiert. Seit der Neuwahl des Bundestags haben sich mehrere Abgeordnete – u.a. Lea Reisner aus Köln, Cem Ince aus Wolfsburg und Cansin Koktürk aus Bochum – klar positioniert und Aktivitäten unterstützt. Die Stimmung in der Partei hat sich durch den Zustrom Zehntausender junger Mitglieder gewandelt. Für sie ist es selbstverständlich, für Gaza auf die Straße zu gehen. Die mit 60.000 größte Gaza-Demo am 21. Juni in Berlin wurde vom Parteivorstand ignoriert, aber Tausende Mitglieder aus Berlin und anderen Städten nahmen teil.
In vielen Kreisverbänden beteiligt sich die Partei schon länger an Aktivitäten. Im großen Kreisverband Köln lief lange nichts, bis Aktive der AG Frieden und internationale Politik die Initiative für einen Gaza-Aktionstag ergriffen. Mehrere neue Mitglieder bedankten sich für die Initiative und erklärten ihre Bereitschaft, weiter aktiv zu sein. Auch bei der lokalen wöchentlichen Kölner Gaza-Demo wurde die Nachricht, dass Die Linke endlich handelt, mit Beifall und Erleichterung aufgenommen.
Die veränderte Stimmung hatte sich schon bei den Parteitagen im Herbst 2024 und im Mai 2025 ausgedrückt. 2024 wurde beschlossen, dass Die Linke gegen das Morden in Gaza protestiert, 2025 wurde das präzisiert. Gegen den erklärten Willen der Vorsitzenden wurde zudem die Antisemitismus-Definition der „Jerusalem-Erklärung” übernommen, welche zwischen der Kritik am israelischen Staat und Antisemitismus klar unterscheidet und diese nicht gleichsetzt wie die IHRA-Definition, die von den mit Israel verbündeten Staaten verbreitet wird.
Egal, wo man hinschaut: Die Proteste gegen den Massenmord durch die israelischen Besatzungstruppen sind links, antiimperialistisch und antikapitalistisch. Auf den Demos gibt es natürlich eine politische Bandbreite: einige sind Pazifist*innen, andere betonen das Recht auf Widerstand gegen Besatzung und Genozid, auch das Recht auf den bewaffneten Widerstand.
Als Marxist*innen halten wir bewaffnete Selbstverteidigung gegen die Besatzungstruppen für legitim. Wir machen allerdings deutlich, dass die Strategie von Hamas und Gruppen wie dem Islamischen Dschihad kontraproduktiv ist und nicht zur Befreiung Palästinas führt. Das Massaker am 7. Oktober hat Netanyahus schmutziges Geschäft erleichtert. Eine sozialistische Strategie für die Befreiung würde eine bewaffnete Komponente haben, aber der Kern wäre die Massenmobilisierung wie in der ersten Intifada ab 1987, eine Organisierung von unten, verbunden mit Versuchen, einen Keil zwischen den zionistischen Staat und die jüdisch-israelische Arbeiter*innenklasse zu treiben.
Angst vor dem Bruch
Hinter dem Zögern, sich zu Gaza klar zu positionieren, steckt die irrige Auffassung, man könne eine linke Partei auf Basis einiger „Brot-und-Butter”-Themen aufbauen. Das ist in Zeiten des Militarismus eine gefährliche Illusion. Die Partei entgeht weder Aufrüstung, noch Kriegen, noch dem rechten Kulturkampf. Eine klare Haltung gegen jede Form von Unterdrückung ist notwendig, eine Beschränkung darauf, „Sozialpartei” zu sein – auch wenn man es mit dem marxistisch klingenden Namen „Klassenpartei” garniert – führt in die Sackgasse. Wenn die Linke keine Antworten auf die existenziellen Fragen hat, geben sie andere, reaktionäre Kräfte.
Der eigentliche Grund für die Angst der Führung vor Gaza ist jedoch nicht, dass es so „kompliziert” ist. Bei Teilen des Apparats, bei Abgeordneten in Bund, Ländern und Kommunen will man es sich nicht grundlegend mit den bürgerlichen Parteien verscherzen. Man will bündnisfähig für SPD und Grüne sein, das wird auch bei der Frage der Aufrüstung deutlich. Führende Vertreter*innen der Partei sprechen davon, man wolle eine Bundeswehr, die gut „für die Verteidigung” ausgerüstet sei. Sie sind nicht bereit, einen Trennungsstrich zur herrschenden Klasse und ihren militaristischen Plänen zu ziehen.
Zynische Zionist*innen
Der – besonders deutsche – extreme Ausdruck der Verbundenheit mit dem Imperialismus sind pro-zionistische Lobbyist*innen in der Partei wie der „Arbeitskreis Shalom” (hebräisch für Frieden, welch zynischer Name für Kriegsverherrlicher*innen und Genozid-Leugner*innen!). Die Landesarbeitskreise „Shalom” sind eng verbunden mit parteirechten Seilschaften, welche um jeden Preis regieren und Teil der kapitalistischen Herrschaftsverwaltung sein möchten. Diese haben, besonders im Landesverband Berlin, Rückschläge erlitten, einige Vertreter*innen wie der ehemalige Kultursenator Lederer haben die Partei verlassen. An der Basis und bis in die Bundestagsfraktion hinein gibt es eine klare Entwicklung hin zu kämpferischen antikapitalistischen Positionen.
Die extremen Zionist*innen sind isoliert und treten in vielen Gliederungen zurückhaltender auf. Entwarnung ist jedoch nicht angebracht: Die Kräfte sind noch stark im Apparat. Diese Kräfte dominieren weiterhin einige Kreisverbände und haben besonders in den sozialliberal geprägten Landesverbänden im Osten und in Bremen noch Einfluss.
Es ist legitim, dass es unterschiedliche Positionen in der Partei gibt. Bei der Breite der vertretenen Positionen kann es realistisch keine detaillierte gemeinsame Strategie geben. Kontroverse Debatten sollten weiter geführt werden, auch zur politischen Bildung der Mitglieder. Notwendig ist allerdings das Primat der Aktion: auf die Straße, in die Öffentlichkeit. Die meisten Mitglieder könnten sich auf gemeinsame Forderungen einigen: Gegen sämtliche Waffenlieferungen an Israel, gegen polizeiliche Zusammenarbeit, für den Boykott von Firmen, die von der Besatzung profitieren, für umfassende humanitäre Hilfe, gegen die Repression in Deutschland.
Keine Gleichsetzung von Besatzung und Widerstand
Die Mitglieder der SAV setzen sich in der Partei gegen die Abgrenzung von der Palästina-Solidarität ein. Die Linke muss Schluss mit der Äquidistanz machen, Schluss mit der Gleichsetzung der genozidalen israelischen Besatzungstruppen mit dem palästinensischen Widerstand. Es handelt sich um einen brutalen Kolonialkrieg, die Palästinenser*innen kämpfen für Selbstbestimmung und Befreiung. Das wird nicht dadurch geschmälert, dass reaktionäre Gruppen wie die Hamas den Widerstand in Gaza dominieren.
Eine Selbstbestimmung für Palästinenser*innen und Jüd*innen ist nur auf sozialistischer Grundlage möglich. Ob dafür jeweils eine eigene Staatlichkeit nötig oder ein gemeinsamer Staat möglich ist, muss sich zeigen. Die Region braucht eine revolutionäre Veränderung. Wenn eine „Zwei-Staaten-Regelung” bedeutet, dass der religiös-sektierische Staat Israel weiter seine Macht ausübt und für die Palästinenser*innen nur zerstückelte und zerstörte Gebiete bleiben, dann verdient sie den Namen nicht und wird scheitern.
Es gibt zwei mögliche Sichtweisen auf die Haltung der Partei Die Linke zu Gaza: 1. Sie hat versagt, macht jetzt ein bisschen, aber nie genug. Ihr ist nicht zu trauen, die Bewegung kann ohne sie agieren. 2. Es hat sich trotz allem viel getan in der Partei, die pro-zionistischen Kräfte sind angeschlagen. Es gibt die Chance, über die Partei Tausende Menschen zu aktivieren und die Bewegung zu stärken.
Wir bevorzugen die zweite, optimistische Sichtweise. Eine bundesweite Demonstration unter der Beteiligung der Partei Die Linke wird am 27. September endlich stattfinden. Die Mitglieder der SAV mobilisieren zusammen mit vielen anderen Genoss*innen und setzen sich für weitere lokale Aktionen ein.

