Als 2011 die Bundeswehr vollständig in eine Berufsarmee umgewandelt wurde, waren wir als Marxist*innen dagegen. Wenn heute die Wehrpflicht wieder eingeführt werden soll, sind wir ebenfalls dagegen. Ein Widerspruch?
Von Georg Kümmel, Köln
In der Geschichte haben kapitalistische Staaten mehrfach die Form ihrer Armee gewechselt, mal Berufsarmee, mal Wehrpflichtigen-Armee oder Mischformen.
In den USA wurde die Wehrpflichtigen-Armee nach dem 2. Weltkrieg schrittweise in eine Armee aus Berufssoldat*innen umgewandelt. Seit 1973 wurden keine Wehrpflichtigen eingezogen. Das geschah nicht zuletzt aufgrund des verbreiteten Antimilitarismus in den USA im Zuge des Vietnamkrieges. Von einer Berufsarmee versprachen sich die Herrschenden in den USA mehr Motivation der Soldat*innen und weniger innenpolitische Probleme.
Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde in vielen Ländern die Wehrpflicht nach und nach abgeschafft bzw. formell ausgesetzt (Belgien 1995, Frankreich 1997, Italien 2005 ausgesetzt, Deutschland 2011 ausgesetzt). Aus Sicht von Kapital und Regierung standen Auslandseinsätze wie in Afghanistan und Mali im Vordergrund. Dafür eignet sich eine flexibel einsetzbare und gut ausgebildete Berufsarmee am besten.
Zeitenwende
Man ging nicht von einem militärischen Konflikt zwischen den großen imperialistischen Ländern aus. Die Perspektive war, die Welt gemeinsam ökonomisch auszubeuten. Zugang zu globalen Absatzmärkten, billigen Rohstoffen und billigen Arbeitskräfte sollte es für alle wirtschaftlich mächtigen Länder geben. Die Geschäfte florierten, China und Russland waren (noch) keine ernstzunehmenden Konkurrenten.
Die Zeitenwende bedeutet nicht weniger als eine Neuauflage des imperialistischen Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Vieles erinnert an die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Die großen imperialistischen Länder stehen sich in direkter Konkurrenz zueinander.
Der Ukraine-Krieg ist vor allem ein indirekter Zusammenstoß verschiedener imperialistischer Interessen und Lager. Der imperialistische Konkurrenzkampf wird sich weiter zuspitzen, ökonomisch und militärisch. In dieser Perspektive sind sich Marxist*innen und bürgerliche Kräfte einig. Die Schlussfolgerung der Herrschenden: Es braucht auch Masse an Soldat*innen. Eine zahlenmäßig kleine reine Berufsarmee reicht nicht.
Wir sind grundsätzlich dagegen, für die Interessen der Kapitalbesitzenden zu töten oder zu sterben. Daher lehnen wir die Wiedereinführung der Wehrpflicht ab.
Das heißt aber nicht, dass wir nicht bereit wären, uns zu verteidigen, wenn nötig mit der Waffe in der Hand, etwa gegen eine drohende Machtübernahme durch Faschisten, sei es aus dem Inland oder dem Ausland. Die genaue Form eines solchen Kampfes würde aber von den Umständen abhängen. Vor allem müsste er demokratisch organisiert sein.
Unsere Freiheit, nicht ihre
Die Aufrüstung und Vergrößerung der Bundeswehr werden mit dem Kampf für unsere Freiheit begründet. Aber was heißt “unsere Freiheit”? Wir verstehen darunter demokratische Freiheiten wie Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung – unabhängig von Herkunft, Religion, sexueller Orientierung – sowie Versammlungsfreiheit, Streikrecht, gewerkschaftliche Rechte, Wahlrecht, so begrenzt Letzteres im Ergebnis auch sein mag. Es versteht sich von selbst, dass diese Rechte unabhängig davon verteidigt werden müssen, von wem sie angegriffen werden. Wir erleben gerade, dass sie weltweit vornehmlich von der jeweils eigenen Regierung der breiten Masse vorenthalten werden oder Stück für Stück eingeschränkt und teilweise ganz abgeschafft werden.
Für uns sind „Werte“, die verteidigt werden müssen, auch Löhne, von denen man leben kann, Mieten, die bezahlbar sind, eine Umwelt, die repariert und erhalten wird.
Welche Armee auf der Welt verteidigt diese Werte? Für die Herrschenden ist eine Armee ein Werkzeug zur Verteidigung ihrer Interessen nach außen, aber gegebenenfalls auch nach innen.
Gegen den großen Widerstand von Gewerkschaften und linken Organisationen wurden 1968 in Deutschland die sogenannten Notstandsgesetze eingeführt, die den Einsatz der Bundeswehr auch im Innern erlauben. Die jüngsten Einsätze von Marines und Soldaten der Nationalgarde durch Trump in Los Angeles und in Washington geben eine Ahnung davon, was Einsatz im Inneren auch in Deutschland eines Tages bedeuten könnte.
Historisch gibt es aber auch Beispiele dafür, dass aus einer Armee, die überwiegend aus Wehrpflichtigen aus den Reihen der breiten Masse der Bevölkerung besteht, sich eine revolutionäre Kraft entwickeln kann, die die kapitalistischen Machtverhältnisse infrage stellt oder sogar stürzt. So geschehen in Russland 1917 und in Deutschland 1918.
Um sicherzustellen, dass die Armee zuverlässig den Interessen der Herrschenden nach innen und nach außen dient, herrscht intern das Prinzip von Befehl und Gehorsam. Das Letzte, was man in einer Armee findet, ist Demokratie – egal wo auf der Welt. Im Grundgesetz ist sogar ausdrücklich geregelt, dass während des Wehrdienstes das Recht auf Meinungsfreiheit und auf Versammlungsfreiheit eingeschränkt werden kann (§17a).
Wir lehnen die Wiedereinführung der Wehrpflicht, ob direkt oder schleichend, ab. Im Kampf gegen die Einführung in den nächsten Jahren sind Aktionen der Verweigerung sinnvoll. Wichtig ist, dass sie über die individuelle Ebene hinausgehen und dazu beitragen, den Widerstand kollektiver zu machen.
Wenn sich die Herrschenden durchsetzen und in Deutschland wieder eine Massenarmee aus Wehrpflichtigen existiert, halten wir die Wehrdienstverweigerung Einzelner nicht für das einzige und auch nicht das zentrale Mittel der Arbeiter*innenbewegung bezüglich der Bundeswehr: Dann geht es für Linke darum, auch in der Armee für demokratische Rechte und gegen Militarismus und Imperialismus einzutreten und so unter den Soldat*innen politische Aufklärungsarbeit über die wahren Ziele der Bundeswehr zu leisten, mit dem Ziel, dass sich die Soldat*innen, die schließlich selber aus der arbeitenden Bevölkerung rekrutiert wurden, kollektiv weigern, gegen ihre Kolleg*innen im Ausland oder Inland eingesetzt zu werden.
Da Kapitalismus und Krieg untrennbar zusammengehören, muss dieser Kampf verbunden sein mit dem Kampf für eine weltweite sozialistische Demokratie. Solange es eine Armee gibt, kämpfen wir für die demokratischen Rechte für die einfachen Soldat*innen in der Armee, also für die Rechte und Freiheiten, die sie angeblich mit ihrem Leben verteidigen sollen.
Unsere Positionen:
- Nein zu Wehrdienst und Wehrpflicht.
- Uneingeschränktes Recht auf gewerkschaftliche und politische Betätigung bei der Bundeswehr, Rede und Versammlungsfreiheit.
- Für eine Kampagne zur gewerkschaftlichen Organisierung der einfachen Soldat*innen.
- Für das Recht auf allen Ebenen demokratische Soldat*innen-Komitees zu wählen, die die Interessen der einfachen Soldat*innen vertreten.
- Für die Wähl- und Abwählbarkeit aller Vorgesetzten.
- Gegen Kapitalismus, Imperialismus und Krieg, Frieden durch weltweite sozialistische Demokratie.

