Das Projekt der neuen Linkspartei „Your Party“, angeführt von den ehemaligen Labour-Linken Jeremy Corbyn und Zahra Sultana, stößt auf enorme Resonanz. Zum Zeitpunkt dieses Interviews haben bereits 700.000 Menschen online ihr Interesse bekundet, darin aktiv zu werden. In Umfragen kommt die Partei aus dem Stand auf über 10%, unter jungen Wähler*innen sind es sogar 18%.
Marcus Hesse sprach dazu mit Mike Forster von der West Yorkshire-Regionalgruppe von Socialist Alternative, unserer Schwesterorganisation in England, Wales und Schottland. Mike ist 69 Jahre alt, ehemaliger Beschäftigter des öffentlichen Dienstes und in der nationalen Leitung der Gewerkschaft UNISON. Seit 1973 ist Mike revolutionär-sozialistisch organisiert.
Hallo Mike, die Resonanz auf das Projekt einer neuen linken Partei ist enorm. Wenn ein Großteil der Menschen, die den Appell unterschrieben haben, bei Gründung dort aktiv würde, wäre es die wohl größte linke Partei in Europa. Welche Faktoren und Ereignisse haben das ermöglicht?
Es ist vor allem die rechte und arbeiter*innenfeindliche Politik der Labour-Regierung um Keir Starmer, die jegliche Illusionen in die Partei zerstört hat. Starmers Labour-Party unterscheidet sich mit ihren Angriffen auf soziale Standards und Rechte von Arbeitnehmer*innen kaum von den konservativen Tories. Einher geht das mit der Unterstützung von Israels Kriegen und scharfer Repression gegen die riesige Solidaritätsbewegung mit Palästina im Land. Trauriger Höhepunkt dessen war bisher das Verbot der Gruppe Palestine Action, die vom britischen Staat – der immer noch im großen Stil Waffen an Netanjahu liefert – als „terroristisch“ eingestuft wurde. Es kam zu Festnahmen von Hunderten Aktivist*innen.
Das hat Millionen Menschen wütend gemacht und führt zu weiterer Abwendung von Labour. 76% sind unzufrieden mit der Regierung. Leider profitiert davon bisher vor allem die Rechte: Reform UK um Nigel Farage ist nach aktuellen Umfragen nach stärkste Partei. Wobei dieser Rechtsruck – die sprichwörtliche Peitsche der Konterrevolution – viele, vor allem junge Menschen, alarmiert und das Verlangen nach einer linken Alternative befeuert, wenn auch die Proteste gegen den Rechtsruck auf der Straße bei weitem nicht die Größe der Bewegung in Deutschland erreicht haben. Labour antwortet auf das Erstarken der Rechten nur mit der Übernahme ihrer rassistischen Narrative und Forderungen.
Wie stark spielen internationale Erfahrungen eine Rolle bei der Politisierung nach links? Werden Erfahrungen mit neuen linken Formationen in anderen Ländern diskutiert?
Teilweise ja, aber nur in einem begrenzten Maße. Besonders die Erfahrungen aus Frankreich (Wahlerfolge der Linken), in den USA (Mamdani, Bewegung gegen Trump) und nicht zuletzt auch in Deutschland, mit dem Wiedererstarken der Partei Die Linke, werden mit großem Interesse wahrgenommen und als inspirierende Beispiele für linke Erfolge in Zeiten von Rechtsruck, Militarisierung und Angriffen auf demokratische Rechte verstanden.
Ein bedeutender Faktor ist die Palästina-Bewegung. Corbyn und Sultana sind dafür bekannt, sich mit den Palästinenser*innen solidarisch zu zeigen. Dominant ist aber die allgemeine Wut auf die aktuelle noch nicht lange bestehende Regierung. Die Idee einer neuen Partei, die einen Bruch mit der Labour Party bedeutet, ist attraktiv. Die Ankündigung von Corbyn und Sultana, eine solche gründen zu wollen, hat nicht nur die Linke und die Arbeiter*innenklasse elektrisiert, sondern das ganze Land bewegt – und auch die herrschende Klasse alarmiert.
Sowohl die Arbeiter*innenklasse und Jugend als auch das Establishment sehen die politische Polarisierung als weltweites Phänomen. Leider fehlte bisher in Britannien eine wirkmächtige Partei links von der völlig verbürgerlichten Labour Party. Linke Neugründungen hoben aus verschiedenen Gründen nicht ab. Corbyns Versuch in der Vergangenheit, Labour nach links zu drücken, wurde vom Apparat sabotiert und scheiterte krachend. Die Ankündigung von Sultana und Corbyn, eine neue Partei gründen zu wollen, wirkt für ihre Unterstützer*innen wie ein Befreiungsschlag.
Eine Gefahr bei einem solchen Projekt wäre es, wenn es auf der Ebene eines Online- und Top-Down-Projekts bliebe. Wie sieht es an der Basis und auf örtlicher Ebene aus: Gibt es demokratische Strukturen, die das Projekt mit Leben füllen?
Dem Anspruch nach soll die neue Partei durch örtliche Konferenzen und Strukturen aufgebaut werden, das sagte auch Corbyn. Wir von Socialist Alternative finden wichtig, dass diese als reale Meetings stattfinden und nicht nur als Online-Konferenzen, wie es einige aus Corbyns altem Beratungsstab gerne hätten.
Am 10. Mai haben wir von Socialist Alternative in Huddersfield – der Stadt in der ich lebe – eine Gründungskonferenz durchgesetzt, zu der 200 Menschen kamen, viele sehr junge Leute. Das war die größte linke Indoor-Veranstaltung in der Stadt seit etwa 15 Jahren. Wir organisieren zusammen mit diesen zum großen Teil sehr jungen und neu politisierten Aktivist*innen seitdem regelmäßige politische Versammlungen. Wir haben eine lokale Konferenz abgehalten und in unserer Stadt eine alternative Pride-Demo organisiert. Wir haben ein Treffen zu Rechten für Menschen mit Behinderung abgehalten, während die Labour-Regierung gerade Kürzungen im Sozial- und Pflegebereich vornimmt, die Menschen mit Behinderung hart treffen.
Wir stellen klar, dass die neue Partei konsequent an der Seite aller Unterdrückten stehen muss. Wir wenden uns klar gegen Transfeindlichkeit, die leider ein Problem in der britischen Linken im weitesten Sinne ist. Am 18. Oktober wird Zahra Sultana in unsere Stadt kommen, zu einer Demo, die wir „Northern March“ nennen. Dort werden wir in den wichtigsten industriell geprägten Städten Nordenglands für die neue Partei demonstrieren. In anderen Orten gibt es auch solche Aktivitäten, aber wie konkret die gestaltet sind, hängt stark von den örtlichen Kräften ab.
Welche Rolle spielt Socialist Alternative dabei? Welche Vorschläge tragen wir rein – organisatorisch und politisch?
Wir von Socialist Alternative orientieren als kleine revolutionär-sozialistische Organisation auf den Aufbau dieser neuen Partei. Seit vielen Jahren fordern wir einen Bruch mit Labour und den Aufbau einer neuen Arbeiter*innenpartei. Wir setzen überall darauf, diese neue Partei besonders demokratisch und breit aufzustellen, den Parteibildungsprozess auf die Straße zu tragen und zeigen beispielhaft, wie das geht.
Wir denken, dass der Parteiaufbau systematisch und planmäßig erfolgen muss. Öffentliche politische Basis-Treffen haben das Potenzial, in kürzester Zeit Tausende zu mobilisieren und den Aufbau schnell auf die nächste Stufe zu heben. Programmatisch treten wir für ein radikales, sozialistisches Programm ein, das voll und ganz auf den Kampf der Arbeiter*innenklasse setzt. Das bedeutet auch die Betonung der Einheit der Klasse und Solidarität mit allen Unterdrückten. So können wir auch die Rechte besiegen und auch einige von deren proletarischen Wähler*innen wirklich für linke Ideen zurückgewinnen. Klar ist: Die neue linke Partei muss und kann etwas radikal anderes sein als die alte verrottete Labour Party; eine demokratische Mitgliederpartei, die zugleich auch eine Partei des Kampfes mit einer sozialistischen Programmatik ist.
Bild: Sophie J. Brown, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons

