Britannien: Eine neue Partei auf dem Vormarsch: Aber wofür sollte sie stehen?

In den letzten Monaten wurde der Ruf nach einer neuen linken Partei immer lauter. Es ist klar, dass die Zeit reif ist für eine solche Idee. Zarah Sultana hat überraschend angekündigt, dass sie und Jeremy Corbyn eine neue politische Formation gründen werden.

 

Von Socialist Alternative England, Wales and Scotland

Von Anfang an hatten Socialist Alternative England, Wales und Scotland eine linke Kampfpartei gefordert, um der Regierung Starmer entgegenzutreten. Die Aussicht auf die Gründung einer neuen Partei ist eine bedeutende und spannende Entwicklung, wo  wir mit Begeisterung dabei sein  werden. Sie hat das Potenzial, die Leben der einfachen Menschen zu verbessern und, was noch wichtiger ist, den Aufstieg der Rechten zu stoppen.

Eine demokratische und offene Partei, die die Arbeiterklasse vertritt

Neben der individuellen Mitgliedschaft sollten sich auch Organisationen wie Gewerkschaften und sozialistische Gruppen einer neuen Partei anschließen können. Ihre Strukturen sollten demokratisch sein, mit Rechenschaftspflicht und einer gewählten Führung. Und sie muss von unten geführt werden, wobei jedes einzelne Mitglied mitreden kann – eine Partei der Arbeiter*innenklasse, für die Arbeiter*innenklasse und von der Arbeiter*innenklasse.

Wir brauchen eine politische Stimme und eine Partei, die unsere Interessen vertritt. Die Labour-Partei könnte davon derzeit nicht weiter entfernt sein. Die Bewegung um Jeremy Corbyn’s Führung mag zwar von Keir Starmer und seinen rechten Kumpanen aus der Labour-Partei vertrieben worden sein, aber die Hunderttausenden von arbeitenden und jungen Menschen, die sich unter dem Banner des Corbynismus geschart haben, sind nicht verschwunden. Viele haben sich der Massenstreikwelle von 2022-23 angeschlossen, neben der anhaltenden Antikriegsbewegung und der Massenbewegung zur Solidarität mit Palästina. Was sie jetzt suchen, ist ein Organisationsraum und eine politische Partei, in der sie sich wirklich zu Hause fühlen können.

Starmer hat unmissverständlich klar gemacht, wessen Interessen er vertritt – die der Reichen und Großunternehmen. Die Labour-Partei unter Starmer würde niemals etwas anderes vertreten als den Status quo, aber die Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse sind erstaunlich in ihrer Unerbittlichkeit, und richten sich insbesondere gegen die Schwächsten

der Gesellschaft – Milliarden Pfund an Leistungen für Menschen mit Behinderungen wurden gestrichen, um Kriege zu finanzieren. Aber Labour ist jetzt nicht nur bereit, sich mit dieser Version von Austerität 2.0 das Outfit der Tories anzuziehen – sie geht sogar so weit, von Reform UK (Rechte Partei von Nigel Farage, Anm. d.Ü.) abzukupfern.

Mit dem Urteil des Supreme Courts hat die Labour-Partei die Transgender-Personen fallen gelassen. Die Rechte von trans-Personen sind ein ideologisches Schlachtfeld, das die Rechtskonservativen nutzen, um ihre Basis zu festigen. Es ist beschämend, dass Starmer sich in diesen Kulturkampf eingemischt hat, in der irrigen Hoffnung, damit weniger Unterstützung für sich und seine Partei zu verlieren als jetzt. Zu dieser reaktionären Mischung kommen noch Angriffe auf Migrant*innen und Flüchtlinge hinzu – laut Starmer  läuft„Großbritannien […] Gefahr, eine Insel von Fremden zu werden“. Es ist fast

unvorstellbar, dass dies einst eine Partei war, die Gewerkschaften, Sozialist*innen und Arbeiteraktivist*innen als „ihre“ Partei bezeichnet haben, und es ist sicherlich nicht die Partei, die wir jetzt brauchen oder wollen.

Farage und die Rechte herausfordern

Unsere neue Partei muss sich gegen jede Unterdrückung wehren – nicht nur mit Worten, sondern auch aktiv gegen Rassismus, Sexismus, LGBTQ+-Feindlichkeit, Behindertenfeindlichkeit und jegliche Unterdrückung. Der Kampf gegen die Sparpolitik geht damit Hand in Hand – Wir brauchen menschenwürdige Arbeitsplätze, Wohnungen und eine umfassend finanzierte öffentliche Infrastruktur für alle.Dafür bitten wir die Milliardäre zur Kasse und beschlagnahmen ihren Reichtum.

Unter Corbyn stieg die Mitgliederzahl der Labour Party auf über 600.000. Der Exodus von Labour-Parteimitgliedern unter Starmer ist so gewachsen, dass die Partei nicht einmal mehr Mitgliederzahlen veröffentlicht. Es ist wahrscheinlich, dass Reform UK jetzt mehr Mitglieder hat als die Labour-Partei und damit die größte politische Partei in Großbritannien ist. Der Rechtsruck der Labour-Partei unter Starmer hat ein Vakuum auf der Linken und Raum für einen Aufstieg der Rechten geschaffen.

Ein noch stärkerer Rechtsruck ist keine Taktik, mit der sich der Aufstieg von Reform UK aufhalten lässt. Bei den Kommunalwahlen im Mai hat Reform UK stark zugelegt; Umfragen sagen ihren Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen voraus.

Die Arbeiter*innenklasse hat Mühe, über die Runden zu kommen, und der Übergang von einer Tory- zu einer Labour-Regierung hat die Lage nicht verbessert – für viele ist sie jetzt sogar noch schlimmer.

Nigel Farage hat die Gelegenheit erhalten, sich in  zynischer Selbstdarstellung als Gegenpol zu den etablierten Politiker*innen – als „Mann des Volkes“ – zu präsentieren. Auf der anderen Seite erleben  Tories ihre eigene Krise und den Zusammenbruch ihrer Unterstützung, so dass wir derzeit den Niedergang des Zweiparteiensystems beobachten.

Entscheidend ist, dass man Reform UK von links angreift, indem man die Schuldzuweisungen und Spaltungstaktik von Farage und seinesgleichen überwindet und ein Programm aufstellt, das auf den gemeinsamen Interessen der Beschäftigten,  in ihrer ganzen Vielfalt, beruht. Dazu gehört (aber keineswegs muss es darauf begrenzt sein) die Besteuerung der Reichen zur Finanzierung von Bildung, Gesundheit und Sozialwohnungen, während die Privatisierung unseres Gesundheitssystems gestoppt und die privaten Unternehmen, die es ausbluten lassen, vertrieben werden müssen. Das bedeutet die gewerkschaftliche Organisation aller abhängig Beschäftigten – Migrant*innen und Brit*innen –, damit sie für unsere wahren gemeinsamen Interessen kämpfen und sich gegen die Agenda von Spalte- und Herrsche der Milliardär*innen wehren können.

Ein sozialistisches Programm gegen die Rechte muss auch entschlossen für öffentliches Eigentum eintreten – bei Energie, Wasser, Wohnen und anderen Schlüsselbereichen der Wirtschaft, um die Wirtschaft gemäß unseren Bedürfnissen zu planen.

Widerstand gegen Krieg und Imperialismus

Die Welt sieht mit Entsetzen zu, wie der Völkermord in Gaza weitergeht. Starmer hat sich kürzlich anderen Staats- und Regierungschefs der Welt angeschlossen und milde Kritik geäußert, aber seit seiner Ankunft in Downing Street ist er ein entschiedener Verbündeter Israels und macht sich mitschuldig an dem Blutvergießen und Leid. Und da die Lage im Nahen Osten immer instabiler wird, wird Kritik beiseite verschoben, während die Regierung wieder auf das Mantra von „Recht Israels auf Selbstverteidigung“ zurückgreift. Starmer befürwortet auch Donald Trumps Vorgehen im Iran, einschließlich der Bombardierung von Nuklearanlagen.

Die neue Partei muss sich gegen jeglichen Imperialismus und Militarismus stellen. Unter Starmer hat Großbritannien, wie andere Länder auch, die Militärausgaben erhöht, und wir sind die, die durch Kürzungen bei unseren Dienstleistungen und unserem Lebensstandard dafür bezahlen. Wir müssen die Reichen besteuern, um Sozialleistungen zu finanzieren, nicht Krieg. Rüstungsfabriken sollten unter der Kontrolle der Arbeitenden verstaatlicht werden, deren Fähigkeiten für die Produktion von Dingen eingesetzt werden sollten, die die Gesellschaft braucht – nicht für Kriegswaffen.

Lehren aus Corbynismus

Jeremy Corbyn hat eine lange Geschichte als Gegner des Krieges, als Unterstützer der Kämpfe der arbeitenden Menschen und Gegner von Rassismus und jeglicher Unterdrückung. Das Phänomen des “Corbynismus” war für viele junge Menschen eine Einführung in die Grundideen des Sozialismus und in das Konzept, dass eine Gesellschaft auch anders geführt werden kann.

Seine Beteiligung an der Führung einer neuen Partei wird deren Mitgliederzahl sehr schnell auf Zehntausende ansteigen lassen. Wir müssen jedoch die Lehren aus seiner Zeit als Labour-Vorsitzender ziehen. Selbst Corbyns bescheidene Wahlversprechen lösten eine Kampagne des rechten Establishments aus, das ihn verdrängen wollte, mit Unterstützung vieler seiner eigenen Abgeordneten. Anstatt die breite Parteimitgliedschaft zu mobilisieren, um den rechten Flügel zu vertreiben, versuchte Corbyns Führung stattdessen, die Anhänger*innen Blairs zu beschwichtigen und sich mit ihnen zu versöhnen. Diese aber waren entschlossen, die Bewegung zu zerschlagen.

Diese Strategie ist zum Scheitern verurteilt, und daraus müssen wir klare Lehren ziehen. Die Reichen und Mächtigen verfügen über enorme Ressourcen, um ihre Interessen und ihr System zu verteidigen, die sie auch dazu benutzt haben, Corbyn als Labour-Vorsitzenden zu stürzen. Die neue Partei muss unerbittlich die Interessen der Arbeitenden vertreten und sich gegen die der Reichen und Mächtigen wehren. Darüber hinaus wäre es ein Fehler, davon auszugehen, dass eine neue Partei nur für Wahlen da ist. Es muss um den Gegenangriff gehen – um eine politische Führung in verschiedenen Kämpfen.

Die Gründung hat lange auf sich warten lassen und wurde eindeutig zu lange hinausgezögert. Corbyn selbst musste dies auf einer Massenkundgebung in Liverpool einräumen, zu der die Merseyside Community Independents aufgerufen hatten: „Viele Menschen sind sehr frustriert, dass wir nicht schon viel früher eine neue politische Partei gegründet haben. Wenn Sie jemandem die Schuld geben wollen, dann mir.“

Ähnliche Veranstaltungen wie die Kundgebung in Liverpool fanden im ganzen Land statt. Dazu gehören eine Versammlung des Widerstands in Leicester sowie die Gründung der People’s Alliance for Change and Equality (PACE) in Kirklees, die beide von Mitgliedern der Socialist Alternative organisiert wurden. Mit Reden von Corbyn und anderen Unabhängigen brachte PACE Gewerkschafter*innen, Anti-Kürzungs- und Anti-Kriegs-Aktivist*innen sowie Klimaaktivist*innen unter dem Motto „Wir brauchen eine neue Partei“ zusammen.

Am wichtigsten ist vielleicht, dass wir eine Partei brauchen, die für einen sozialistischen Wandel kämpft. Der Kapitalismus bringt international Krisen und Chaos. Von der Volatilität eskalierender Kriege bis hin zur eine Klimakatastrophe, die die Zukunft der Menschheit bedroht, während Milliardäre und Profit höher bewertet werden als unser Leben. Dauerhafte Verbesserungen und Errungenschaften für unsere Klasse können nur durch einen Bruch mit diesem verrotteten System erreicht werden.

Im englischen Original lesen unter: https://socialistalternative.info/2025/07/04/new-party-incoming-but-what-should-it-stand-for/

Foto Quelle: Joseph Herbert / Leicester Gazette