Südkorea besser vorbereitet

Verständlicherweise denkt aktuell fast jede*r darüber nach, was getan werden kann, um die Verbreitung des SARS 2 Coronavirus einzudämmen. Dafür werden auch Einschränkungen der persönlichen Rechte in Kauf genommen. Epidemiologische Modelle, die Menschen auf drei Eigenschaften (infiziert, nicht-infiziert, immun) reduzieren, können aber nicht als einzige Antwort auf eine gesellschaftliche Fragestellung herhalten. Insbesondere muss ein Vergleich zur Funktionalität und Praktikabilität der getroffenen Maßnahmen in verschiedenen Ländern getroffen werden.

Von Viktor, Berlin

Südkorea hat 8800 bestätigte Fälle. Seit dem 4. März steigen diese nur noch im einstelligen prozentualen Bereich an, seit dem 11. März konstant unter 2 % pro Tag. Was können wir aus der südkoreanischen Antwort auf Covid-19 lernen? Es fallen insbesondere drei Unterschiede zum deutschen Umgang auf: 1. Die Regierung verschwendete keine wertvollen Wochen damit, die „bestmögliche Vorbereitung“ zu beteuern 2. Es wurde nie nach einer einzelnen Maßnahme, die alles löst, gesucht. Stattdessen wurde eine pragmatische Kombination von zum Teil wirksamen Maßnahmen angewendet 3. Der südkoreanische Staat hat sich nicht gescheut, in die strategisch wichtige Produktion von Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung wie Masken einzugreifen.

Während in Deutschland eine Diskussion stattfand, ob das Screening auf erhöhte Körpertemperatur am Flughafen sinnvoll ist, wurde es in Südkorea umgesetzt. Die Denkweise lässt sich mit „es ist besser 50 % der Infizierten zu isolieren als 100 % durchzulassen“ zusammenfassen. Die Einreise aller Menschen aus Wuhan über einen vierzehntägigen Zeitraum noch vor Bekanntwerden der neuartigen Lungenerkrankung wurde nachvollzogen. Die Eingereisten wurden täglich telefonisch nach Symptomen gefragt und teilweise isoliert, wobei ihre Kontakte in Südkorea ermittelt wurden, soweit es ging.

Als die ersten Tests auf den neuartigen Erreger entwickelt wurden, wurde die Produktion dieser Tests extrem schnell hochgefahren. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es – mit Ausnahme von China – kein Land der Welt, dass mehr Tests durchgeführt hat. Auch die Produktion und Verteilung von Desinfektionsmitteln und Schutzkleidung wurde schnell unter staatliche Kontrolle gestellt. Insbesondere ist hier der strategische Einsatz an Orten mit hohem Übertragungsrisiko wie Supermärkte oder an Arbeitsplätzen wie Callcentern interessant. An diesen Orten wird auch täglich zweimal auf Symptome gescreent. Sofern welche auftreten, wird die betreffende Person sofort einen Test unterzogen. Ist der Test positiv, wird die Einrichtung für eine Dauer von 14 Tagen geschlossen und die Beschäftigten mit Kompensation zur Isolation nach Hause geschickt. Ausgangssperren gab es auch in der hochgradig betroffenen Stadt Daegu (rund 75 % der Fälle) nicht. Die Bevölkerung folgte allerdings weitestgehend der Aufforderung, Bewegungen auf ein Minimum einzuschränken.

Schutz des medizinischen Personals

Von Anfang spielten – anders als in Deutschland – Überlegungen zum Schutz des medizinischen Personals eine Rolle. Screening auf Symptome und der Test auf den Erreger auch beim medizinischen Personal von Anfang an ernst genommen – um die Funktionsfähigkeit der Versorgung auf Dauer zu gewährleisten und eine Verbreitung in Risikogruppen durch Personal z.B. in einem Altenpflegeheim zu verhindern. Der außergewöhnlichen Belastung wird durch die bewusste Planung von Erholungszeit entgegengewirkt.

Einen Eindruck über die geringe Einschränkung demokratischer Rechte bietet insbesondere der Fall einer Patientin, die trotz den Gesundheitsbehörden bekannter Symptome einen Test verweigerte und sich tagelang in einer religiösen Sekte frei bewegte. Die Intervention der Behörden beschränkte sich darauf, sie und bekannte Risikokontakte tagelang anzurufen und eindringlich auf die Wichtigkeit eines Tests und der Isolation hinzuweisen. Ein Vorgehen, dass für Kritik aus der Bevölkerung sorgte. Viele forderten, in solchen Verweigerungsfällen durchzugreifen. Als Reaktion forderten hochrangige Regierungsbeamte ein Verfahren gegen die Anführer der religiösen Sekte, die einen wesentlichen Einfluss auf das tatsächlich verantwortungslose Handeln ihrer Anhänger*innen hatten und an anderer Stelle durch eine Zeremonie – die sich in etwa als Versprühen von Weihwasser beschreiben lässt – den Erreger direkt unter ihnen verteilt haben.

Überwachung

Zum Nachvollziehen der Infektionsketten wurden von den Behörden massenhaft Bewegungsdaten aus dem Handynetz, Bezahlsystemen und bestehender Kameraüberwachung ausgewertet, aus Datenschutzgründen kritisch zu sehen. Allerdings sollte der Verweis auf Datenschutzverstöße nicht dazu genutzt werden, alle anderen funktionierenden und pragmatischen Maßnahmen gar nicht mehr zu prüfen.

Südkorea ist ein kapitalistisches Land, in dem die herrschende Klasse selbstverständlich ebenso ihre eigenen Interessen verfolgt. Darüber soll der kluge und pragmatische Umgang mit der Pandemie nicht hinwegtäuschen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass eine Weitergabe von Bewegungsdaten an das RKI auch in Deutschland stattfand und die Einschränkungen von Streik- und Demonstrationsrechten schwerwiegender sind.

Foto:

Drive-Through-Station für Corona-Virentestungen

Government of S.Korea: http://www.gyeongju.go.kr / KOGL Type 1 (http://www.kogl.or.kr/open/info/license_info/by.do)