Klassenkampf in Corona-Zeiten

Wichtige Maßnahmen gegen Covid-19 wie Distanz halten, Hygiene- und Gesundheitsschutz dürfen nicht mit der Einschränkung demokratischer Rechte einhergehen. Anders als von bürgerlichen Politikern, Wirtschaft und Medien behauptet sitzen wir nicht alle im selben Boot. Viele der Maßnahmen gegen die Pandemie zeigen, wessen Interessen sich in dieser Gesellschaft durchsetzen und welche Widersprüche eine Produktionsweise nach Profit und Konkurrenz hervorruft.

von Linda Fischer, Hamburg

Während in einigen Bundesländern selbst das Sitzen auf einer Parkbank verboten ist, soll in vielen Großbetrieben der Betrieb ohne größere Sicherheitsmaßnahmen weiterlaufen oder wieder aufgenommen werden. Statt Produktion sofort massiv auf Schutzausrüstung und andere notwendige Güter umzustellen, werden weiter Panzer und Autos produziert. Während bis 20. April bereits 750.000 Betriebe Kurzarbeit angemeldet haben und Millionen Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze fürchten, soll gleichzeitig das Arbeitszeitgesetz temporär aufgeweicht werden.

Welche Beispiele für Widerstand gibt es und wie können wir in Zeiten von Corona gegen unsichere Arbeitsbedingungen, Angriffe und Entlassungen kämpfen? Was sollten Gewerkschaften tun?

Schutz der Beschäftigten

In verschiedenen Ländern haben sich Streiks und Proteste wegen mangelnder Hygiene, fehlender Schutzausrüstung oder Abstandsmöglichkeiten entwickelt. Im März kam es in Italien zu spontanen Arbeitsniederlegungen gegen unsichere Arbeitsbedingungen vor allem im produzierendem Gewerbe.

In den USA haben Proteste von Amazon-Beschäftigten Aufsehen erregt, nachdem der Lagerarbeiter Christian Smalls mit der zynischen Begründung entlassen wurde, er habe sich nicht an die Regeln von Social Distancing und Quarantäne gehalten. Smalls hatte nach Bekanntwerden mehrerer Covid-19 Erkrankungen im Warenlager einen Protestmarsch mit der Forderung nach Schließung und Reinigung des Lagers für zwei Wochen bei Lohnfortzahlung organisiert. Während die Beschäftigten und ihre Familien um Gesundheit und Leben fürchten müssen, ist Jeff Bezos der größte Profiteur der Corona-Krise. Laut „Bloomberg Millionaires Index“ hat sich sein Vermögen seit Jahresbeginn um 24 Milliarden auf 138,5 Milliarden Dollar erhöht.

Im Amazon-Versandzentrum in Winsen (bei Hamburg) ist bekannt geworden, dass 68 Mitarbeiter*innen (Stand: 23.4.) an Covid-19 erkrankt sind. Betriebsrat und gewerkschaftlich Aktive sind gefragt, sofort zu reagieren und die befristete Schließung bei voller Lohnfortzahlung zu fordern. Sollte sich herrausstellen, dass ungenügende Schutzmaßnahmen zur Ansteckung geführt haben, müssen Entschädigungen gezahlt werden. Eine Vernetzung von Aktivist*innen weltweit kann den Kampfeswillen und den Mut für Widerstand erhöhen.

Über Amazon hinaus ist es notwendig, dass Belegschaften entscheiden können wie und zu welchen Bedingungen gearbeitet wird, und dass sie die Kontrolle über den Gesundheitsschutz haben. Nicht die Profite für Konzernchefs, sondern der Schutz der Beschäftigten ist entscheidend!

Entlassungen verhindern! Streikrecht durchsetzen.

Kurzarbeitergeld ist ein Massenphänomen. Auch vor Entlassungen werden Konzernchefs nicht zurückschrecken, wenn sie Ihnen notwendig erscheinen.

Die britische Kaufhauskette Debenhams hat beschlossen, ihre elf Filialen in Irland nicht wieder zu öffnen und hat 2000 Beschäftigten per Email mitgeteilt, dass sie entlassen sind. Die Covid-19 Krise wird missbraucht, um eine Entscheidung zu rechtfertigen, die wahrscheinlich in jedem Fall geplant war und nun umgesetzt wird, während die Möglichkeiten zum Widerstand begrenzt sind.

Dennoch haben am 21. April Beschäftigte vor sieben Debenhams-Filialen gegen das Vorhaben protestiert. Die Polizei hat Beschäftigten trotz Einhaltung der Abstandsgebote mit Festnahme gedroht. Der Protest sei nicht wesentlich und damit nicht legal. Mick Barry, Abgeordneter der Socialist Party Irland (Schwesterorganisation der SAV) entgegnet: „Die Debenhams-Arbeiter*innen kämpfen für ihre Lebensgrundlagen und waren im Recht, zu protestieren. Für sie und ihre Familien ist es wesentlich und nicht unwesentlich.“

In Deutschland gibt es den ersten Streik gegen Entlassungen. Am 23.4. sind die Beschäftigten beim Maschinenbauer Voith in Sonthofen in einen unbefristeten Streik getreten. Ziel ist der Erhalt der 500 Arbeitsplätze und ein Sozialtarifvertrag. 2019 erreichte der Betrieb schwarze Zahlen und soll dennoch verlagert werden.

Die Gewerkschaften sollten sich ein Beispiel an den Voith-Kolleg*innen und den Beschäftigten von Debenhams nehmen. Zusammen können Corona-konforme Streikformen entwickelt werden. Bei Voith wird auf große Streikversammlungen verzichtet, es werden lediglich Streikposten aufgestellt. Die Ein- und Ausfahrten des Werks wurden spontan mit über 50 privaten Autos blockiert.

Ob Kurzarbeit oder Androhung von Entlassungen, die erste Forderung sollte lauten: Offenlegung der Geschäftsbücher. Wenn das Unternehmen die finanzielle Misere beweisen kann, sind staatliche Hilfen die bei den Beschäftigten landen, denkbar. Wenn der Betrieb geschlossen werden soll, ist er unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten in öffentliches Eigentum zu überführen. Auf dieser Grundlage wäre eine Umstellung der Produktion zu prüfen und zu entwickeln.

Betriebliche und gewerkschaftliche Aktivist*innen, können sich die vorhandenen Beispiele für Widerstand als Vorbild nehmen, um Druck auf die örtlichen Gewerkschaftsführungen auszuüben. Gerade in Zeiten des Corona-Virus, der wie ein Brandbeschleuniger auf die wirtschaftliche Krise wirkt, müssen wir unser Recht auf Protest und Streik durchsetzen und auf mögliche Repressionen vorbereitet sein.

Angriff auf Arbeitszeitgesetz zurückschlagen

Von Supermärkten über Zustelldienste bis zu Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen – die Beschäftigten erhalten neuerdings viel Beifall von der Politik, doch die schlechten Arbeitsbedingungen bleiben. Schlimmer noch: Das Arbeitszeitgesetz ist temporär ausgehebelt. Die Höchstarbeitszeit ist auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche angehoben worden. Gleichzeitig sind die Ruhezeiten von elf auf neun Stunden verkürzt worden. Ziel sei es angeblich, Versorgungsengpässe in der Notlage zu vermeiden. In einer Erklärung der VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) heißt es: „Die Antwort der Gewerkschaften muss jetzt die Forderung nach einer Aufstockung des Personals und einer Verringerung der Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich sein“.

Auch an der schlechten Bezahlung ändert sich nichts grundlegend: Der Handelsverband hat die 2019 vereinbarte Tariferhöhung im Einzelhandel aufgrund von Corona auf Ende des Jahres aufgeschoben. In der Altenpflege soll es zwar eine Corona-Prämie von 1500 Euro geben. Deren Finanzierung ist allerdings noch nicht geklärt.

Die Gewerkschaft ver.di schreibt auf ihrer Website: „In Zukunft sind dauerhaft bessere tarifliche Entgelte und Regelungen erforderlich. Darauf wird ver.di pochen, wenn die Pandemie überwunden ist.“ Warum erst danach? Die ver.di-Führung verpasst mit falscher Zurückhaltung Chancen, während sich Kolleg*innen aus Krankenhäusern organisieren. In einem offenen Brief an die Politik fordern Betriebsräte, Personalräte und Mitarbeitervertretungen aus über 60 Krankenhäusern in Niedersachsen und Bremen, ausreichende Schutzkleidung, einen finanziellen Ausgleich für die Mehrbelastung für alle Beschäftigte im Krankenhaus, mehr Personal und ein Gesundheitswesen in öffentlicher Hand. Ver.di sollte diese Forderungen aufgreifen und jetzt eine massive Öffentlichkeitskampagne starten, mit ersten Höhepunkt am internationalen Tag der Pflege am 12. Mai um den politischen Druck zu erhöhen.

Als Kolleg*innen, Betriebsräte, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen können wir nicht warten bis die Pandemie überwunden ist (2021? 2022?) und wir uns mit einer Situation konfrontiert sehen, in der massive Verschlechterungen, Entlassungen und Angriffe auf Arbeitsrechte von oben bereits durchgesetzt wurden. Wir müssen uns vernetzen und Druck von unten aufbauen.