Interview mit Emilio Rezzonico zum Ende von Germanwings

Staatliche Hilfen an Erhalt von Arbeitsplätzen knüpfen

Emilio Rezzonico ist als Purser (leitender Flugbegleiter) bei Germanwings (GWI) beschäftigt. Er ist seit vielen Jahren in der betrieblichen Mitbestimmung aktiv und engagiert sich in der Aircrew Alliance, der ver.di-Abteilung für fliegendes Personal.

Der Flugbetrieb von Germanwings wird eingestellt. Wie viele Arbeitsplätze sind betroffen?

Bei GWI sind vor allem Flugbegleiter*innen und Pilot*innen beschäftigt. Der Bodenbetrieb wurde bereits in den vergangenen Jahren auf ein Minimum verkleinert und innerhalb des Konzerns outgesourct. Wir haben 1400 Arbeitsplätze, davon etwa 800 Flugbegleiter*innen.

Germanwings am Ende, Eurowings existiert weiter, der Mutterkonzern Lufthansa ohnehin. Wie funktioniert das Konstrukt der Lufthansa-Gesellschaften?

Die GWI befindet sich im Alleinbesitz der Deutschen Lufthansa (LH). Die LH bietet im sogenannten Low-Cost-Geschäft Flüge unter der Marke Eurowings an. Dieses Geschäft wird durch verschiedene Töchter realisiert. Über konzerninterne Gewinn- und Verlustabführungsverträge bilden sie quasi eine wirtschaftliche Einheit unter zentraler Beherrschung der LH. Die Unternehmen verfügen jeweils über Haustarifverträge, die sich voneinander unterscheiden, obwohl sie gleichermaßen an der Gesamtproduktion beteiligt sind. Es wurde angedroht, Betriebe mit höheren Standards schrumpfen oder gar schließen zu lassen, so dass jene mit niedrigeren Standards wachsen konnten. Diese künstlich geschaffene Konkurrenzsituation führte dazu, dass Tarifstandards bei GWI abgesenkt wurden. Das reichte jedoch nicht aus, so dass GWI schrumpfte.

Gibt es eine Perspektive auf die Übernahme im Mutterkonzern?

Auch in anderen Betrieben des Konzerns sind eher Schrumpfungen vorgesehen. Die zivile Luftfahrt ist weltweit zum Erliegen gekommen. Es wird extrem schwierig sein, eine vergleichbare Beschäftigung in der zivilen Luftfahrt zu bekommen. Falls doch, müssen Flugbegleiter*innen zumindest mit massiven Einschnitten rechnen. Der Beruf der Flugbegleiter*in ist ein Anlernberuf. Bei Einstellung ist das Gehalt mit rund 1700 Euro überschaubar. Nach zehn Jahren erhält eine Flugbegleiter*in bei GWI etwa 150 % des Einstiegsgehalts. Bei einem Wechsel des Betriebs wird man allerdings als Neueinstellung behandelt und fängt wieder von vorne an. Die Lufthansa klagt über einen Mangel an liquiden Mitteln während der Krise und begründet so die Umstrukturierung des Konzerns. Die Schließung der GWI passt allerdings kaum zu dieser Begründung. Die GWI generiert kaum Fixkosten, die nach der Schließung nicht ebenso noch im Konzern vorhanden wären. Gleichzeitig kostet die Abwicklung kurzfristig Geld und belastet die aktuelle Liquidität. Es ist davon auszugehen, dass die Situation genutzt wird, weil die Reaktionsmöglichkeiten der Sozialpartner bei ruhendem Betrieb deutlich eingeschränkter sind.

Wie schätzt du die Perspektiven der Luftfahrtbranche ein? Ist Corona die Ursache oder eher der Katalysator der jetzigen Krise?

Bereits vor der Krise wurde eine Konsolidierung des Airlinemarktes in Europa prognostiziert. Dies geht sicher nun schneller vonstatten als gedacht. Gleichzeitig werden die Karten neu gemischt. Die Gesetze des „freien Marktes“ sind nicht anwendbar. Die meisten Airlines werden nur überleben, wenn sie durch den Staat Hilfeleistungen erhalten. Die Frage ist, wie viel Hilfe welche Airline erhält. Das hat auch Auswirkungen darauf, in welcher Verfassung ein Unternehmen später wieder in der Markt einsteigt.

Was fordern die betriebliche Interessenvertretung und ver.di angesichts der drohenden Arbeitsplatzverluste?

Der Staat greift mit Steuergeldern der Luftfahrt unter die Arme. Bisher sind staatliche Hilfen dahingehend an keine Bedingungen geknüpft. Dass es auch anders geht, zeigen ungewohnterweise u.a. die USA: Dort wurden im sog. CARES Act die Hilfsgelder für Airlines an die Bedingung geknüpft, dass Arbeitsplätze erhalten bleiben. In Deutschland muss die Diskussion ebenfalls in diese Richtung gehen. Wenn Menschen entlassen werden, dann belasten sie die Steuerzahler*innen doppelt. Einmal durch die Hilfsgelder und dann durch die Versorgung der Erwerbslosen. Staatshilfen dürfen nicht dazu missbraucht werden, in der Krise betriebswirtschaftliche Optimierungen in volkswirtschaftliche Probleme zu wandeln.

Bild: Aero Icarus (CC BY-SA 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/)