Offener Brief von Krankenhausbeschäftigten

Die Unterzeichner*innen sind der Koordinierungskreis der Teamdelegierten des Uniklinikums Jena.

Dieser Brief wurde an die Landespolitik, die Klinikleitung und auch an Gesundheitsminister Jens Spahn gesendet.

SARS-CoV-2: Die Krise gemeinsam bewältigen

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir, Beschäftigte des Universitätsklinikums Jena, sind täglich rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr mit Fachwissen, Leidenschaft und Engagement für unsere Patientinnen und Patienten und deren Angehörige erreichbar und ansprechbar. Gemeinsam agieren wir als Team. Ein Team aus Ärztinnen, Pflegenden, Servicemitarbeiterinnen, Wissenschaftler*innen und vielen weiteren Berufsgruppen an einem Klinikum der Maximalversorgung.
Gemeinsam bieten wir den Menschen in der Region und darüber hinaus Hilfe in akuten Notlagen sowie Unterstützung in gesundheitlichen Fragen.

Sowohl der Pflegenotstand als auch der Mangel an Ärztinnen und Ärzten ist seit Jahren bekannt. Die Fallzahlen steigen, doch das benötigte Personal fehlt. Tagtäglich haben wir mit den Auswirkungen des Personalnotstandes zu kämpfen. Tagtäglich müssen wir aufgrund der angespannten Personalsituation entscheiden, welchen Tätigkeiten wir mehr und welchen wir weniger Priorität zukommen lassen können. Immer häufiger überschreiten wir physische und psychische sowie moralische und ethische Grenzen, in denen wir die menschenwürdige und bedarfsgerechte medizinische sowie pflegerische Versorgung der uns anvertrauten Menschen nicht vollumfassend gewährleisten können. Jeden Tag sehen wir uns in der Pflicht, die würdevolle Betreuung unserer Patientinnen und Patienten gegen wirtschaftliche Interessen zu verteidigen. Wir stellen den Schutz unserer Patientinnen und Patienten über Alles.

Wir können noch nicht genau absehen, mit welcher Wucht uns die Welle der Corona-Pandemie treffen wird. Sollte sie uns treffen, wird sie das Universitätsklinikum in einen Ausnahmezustand versetzen. Dies stellt uns alle vor eine riesige Herausforderung, in der Zusammenhalt, Solidarität und gegenseitige Unterstützung von zentraler Bedeutung sind.
Wir als Mitarbeiter*innen sind bereit, für die Dauer der Pandemie unsere Ressourcen dem Universitätsklinikum auch außerhalb unseres angestammten Arbeitsbereiches zur Verfügung zu stellen sowie bei Bedarf auch über unsere vertraglich geregelte Arbeitszeit hinaus zu arbeiten.
Wir benötigen gerade jetzt die Flexibilität aller Beschäftigten und einen interdisziplinären Krisenplan, dem keine wirtschaftlichen Zwänge auferlegt werden dürfen, um den Schutz der Patientinnen und Patienten sowie des Personals zu gewährleisten.

Um in dieser zugespitzten und in jeglicher Hinsicht herausfordernden Situation gemeinsam bestehen zu können, haben wir Anforderungen und Erwartungen an die politischen Entscheidungsträger*innen und unsere Klinikleitung. Nur wenn es zu einer transparenten und kooperativen Form der Zusammenarbeit zwischen allen Bereichen, allen Berufsgruppen und allen Ebenen kommt, werden wir diese Krise bewältigen können.

Darum ist es zwingend erforderlich, dass

  • ein stabiler und umsichtiger Krisenstab agiert. Dazu ist die Einbindung aller Fachdisziplinen, auch mit Vertreter*innen von der an der Basis arbeitenden Beschäftigten, unbedingt notwendig.
  • die Kinderbetreuung in kleinen Gruppen, möglichst im gewohnten Umfeld, gewährleistet ist. Nur so können Väter und Mütter ihrer Arbeit sorgenarm und konzentriert in ihren Tätigkeitsfeldern weiter nachgehen.
  • transparente und kompetente Kommunikationsstrukturen geschaffen werden.
  • es eine funktionierende Notfallversorgung aller Patient*innen gibt.
  • eine Notfallnummer für Mitarbeiter*innen eingerichtet wird.
  • ALLE elektiven Eingriffe bis auf Weiteres auszusetzen sind, um Personal für Notfallbereiche bereit zu halten.
  • noch verfügbare Zeit für die Einarbeitung/Einweisung in fremde Einsatzbereiche zu nutzen ist.
  • Servicepersonal, auch für Reinigung/Desinfektion, aus den bereits geschlossenen Einrichtungen an das Universitätsklinikum umgeleitet wird.
  • unverzüglich eine umfassende psychologische Betreuung für die Beschäftigten und für die Patient*innen und Angehörigen bereitgestellt wird.
  • es sofort für alle, die dieser Situation standhalten, die ihre Kinder in Notbetreuungsgruppen bringen, Überstunden machen, Pausenzeiten nicht nehmen können und Ruhezeiten nicht einhalten können, eine verlässliche Zusage über eine staatlich finanzierte Gefahren- und Belastungszulage gibt.

Auch wenn jetzt die Bewältigung der Krise höchste Priorität hat und unsere volle Aufmerksamkeit braucht, wollen wir darauf verweisen, dass die Situation, in der wir heute sind, auch auf die Entwicklungen des Gesundheitssystems der letzten Jahre zurückzuführen ist. Deswegen müssen wir nach der Krise darüber sprechen:

  • warum das Gesundheitssystem immer mehr nach Marktlogiken ausgerichtet wurde und immer weniger nach den eigentlichen Notwendigkeiten der medizinischen Versorgung und den Bedürfnissen der Patient*innen und der Beschäftigten?
  • warum immer mehr Krankenhäuser privatisiert wurden, anstatt sie in staatlicher Verwaltung zu halten, um so in Krisen- und Notsituationen mit einheitlichen Arbeits- und Versorgungsbedingungen sowie Krisen- und Notfallplänen handeln zu können?
  • warum es heute „Just-in-time-Lieferketten“ für Verbrauchsmaterialien gibt, anstatt eine Vorrats- und Lagerhaltung, um auch Krisensituationen bewältigen zu können?

Die Geschehnisse der nächsten Tage, Wochen und Monate können eine ungeahnte Dynamik aufweisen. Aktuell können wir vor dem Hintergrund der Geschehnisse in China, im Iran oder aber in Italien nur erahnen, was auf uns zu kommt. Wir haben jetzt die Verantwortung aus diesen Geschehnissen zu lernen und uns bestens vorzubereiten.

Foto: Anna Schroll, CC BY-SA 4.0