Systemfrage? Klassenfrage? DIE LINKE und Corona: Konkrete Forderungen mit begrenzter Reichweite

Foto: Niels Holger Schmidt. CC-BY-SA

Der Beschluss des Parteivorstandes der LINKEN vom 28. März enthält viele richtige und wichtige konkrete Forderungen: Erhöhung der Einkommen der Klinik-Beschäftigten um 500 Euro, Abschaffung der Fallpauschalen, bedarfsgerechter Personalschlüssel für die Kliniken, Stopp der Abschiebungen, deutliche Erhöhung der sozialen Grundsicherung, das Verbot der Profitmacherei im Gesundheits- und Pflegesektor, Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen. Noch auffälliger als diese guten Forderungen ist jedoch das Fehlen der perspektivischen Einordnung der Pandemie und der beginnenden Weltrezession sowie grundlegender Maßnahmen zum Umgang mit der Krise, für deren Umsetzung sich DIE LINKE notwendigerweise mit dem Kapital anlegen müsste.

von Lucy Redler, Berlin und Claus Ludwig, Köln

Während der zweite Teil des Titels – “Menschen vor Profite” –  verständlich und sinnvoll ist, klingt der erste Teil – “Solidarisch aus der Krise” unpassend optimistisch. Das setzt sich im Text fort: “Jetzt in die Zukunft investieren: Schon jetzt geht es darum, den wirtschaftlichen Wiederaufbau als Aufbruch in eine neue, krisensichere, sozial und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsform anzulegen.”

Als könne man diese Krise mit einer Prise staatlicher Lenkung und Investitionen und etwas “gerechter Verteilung” überwinden. Der Virus verschärft eine ohnehin begonnene Rezession zu einer umfassenden Rezession. Die allgemein gestiegene Pandemie-Gefahr hat ihre Ursache in der kapitalistischen Lebensmittelproduktion. Die schnelle Ausbreitung basiert auf dem hohen Grad der Globalisierung, gepaart mit der Arroganz vor allem der westlichen Regierungen und ihrem Versuch, das Business so lange wie möglich am Laufen zu halten, was ihnen jetzt auf die Füße fällt.

Viele reden vom Kapitalismus. Der Parteivorstand nicht. Wenn Adidas, H&M und Deichmann ankündigen, keine Miete mehr zu bezahlen, aber Mieter*innen Sorge haben, sich ihre Wohnung nicht mehr leisten zu können, steigt das Bewusstsein über die Realität des Systems. Die Aufgabe der LINKEN wäre es, in einer solchen Situation sozialistische Lösungen populär zu machen. Die Zwischenüberschrift “Die Kosten der Krise gerecht verteilen” irritiert. Es wäre die Aufgabe der Partei, die Auseinandersetzung durchgängig zu einer Klassenfrage zu machen. Das im Bundestag beschlossene Hilfspaket enthält zwar Maßnahmen zur Abmilderung der Krisenfolgen für Beschäftigte und Mieter*innen (mit einigen Pferdefüßen), aber in erster Linie handelt es sich um einen gigantischen “bail out” für das Kapital. DIE LINKE darf solchen Paketen nicht zustimmen.

Es ist richtig, die Aussetzung der Schuldenbremse zu unterstützen. Korrekterweise haben jedoch 31 Bundestagsabgeordnete der LINKEN zumindest dem Teil des Pakets „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nicht zugestimmt. Als Gründe führen sie an: Die Grund- und Freiheitsrechte müssten in der Krise bewahrt und die soziale Gerechtigkeit ausgebaut werden. Der Erhalt des Status Quo in der Wirtschaft wäre keine Option, eine gerechtere Wirtschaftsordnung wäre nötig.

Schon jetzt zahlen die Beschäftigten für die Krise, wenn auch abgefedert. In der nächsten Phase werden die Auseinandersetzungen härter werden, wenn die Konzerne versuchen, ihre Profite wiederherzustellen. Die Linie der LINKEN sollte sein, nicht die Lasten “gerecht” zu verteilen, sondern die Reichen zur Kasse zu bitten, unmissverständlich.

Eindämmung von Covid-19

Auch die Frage der Eindämmung ist eine Klassen- und Geschlechterfrage. Die Maßnahmen der Regierungen treffen die Menschen in ihrer freien Zeit, in der Reproduktion und bei der Versorgung, nicht aber in der Produktion. Im Beschluss des PV heißt es: “Die Gesundheit der Beschäftigten geht vor, niemand darf gezwungen werden zur Arbeit zu gehen und Ansteckung zu riskieren, wenn die Arbeit nicht systemrelevant ist. Diese Entscheidung darf nicht den einzelnen Arbeitgebern überlassen werden.” Gut, aber das wird nicht zu Ende gedacht. Wer soll entscheiden? 

Lucy Redler und Thies Gleiss, Mitglieder im Parteivorstand und im Bundessprecher*innenrat der Antikapitalistischen Linke, hatten im Vorstand beantragt, dass die Produktion in allen nicht lebenswichtigen Bereichen, die kein Home Office machen können, bei Fortzahlung der Löhne eingestellt werden soll. Dies wurde abgelehnt. Ebenso fanden weitere Änderungswünsche bezüglich einer Ausdehnung der heute schon existierenden bescheidenen Veto-Rechte der Beschäftigten aus Gesundheitsgründen bis hin zur Stilllegung von Betrieben bei Fortzahlung der Löhne keine Mehrheit.

Auf der ganzen Welt greifen bürgerliche Regierungen in den Markt ein. Nach langer Untätigkeit kündigt Trump an, ein Gesetz aus dem Korea-Krieg zu nutzen, um die Umstellung der Produktion zu erzwingen. Und die LINKE? Wann, wenn nicht jetzt, wäre es an der Zeit, Konzerne zu zwingen die Produktion umzustellen, um medizinisch dringend notwendige Güter und Schutzkleidung herzustellen? Die LINKE muss die öffentliche Debatte über die Grenzen des Marktes nutzen, um die Frage der Vergesellschaftung von Schlüsselbereichen der Wirtschaft und der demokratischen Kontrolle und Planung durch Belegschaften und die Gesellschaft aufzuwerfen.

Einschränkung demokratischer Rechte

Auffällig ist die fehlende Kritik an Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperre. Hier wird vor allem darauf verwiesen, dass die Maßnahmen “verhältnismäßig, überprüfbar und auf das Ziel des Gesundheitsschutzes bezogen” sein müssten. Die ersten Tendenzen zu polizeilicher Willkür, die Förderung des Denunziantentums und die Unwirksamkeit mancher Maßnahmen beim Kampf gegen den Virus werden nicht erwähnt. Auch die psychosozialen Folgen – weitere Vertiefung der Kluft zwischen Kindern aus armen und akademisch gebildeten Haushalten, Gefahr von mehr Gewalt gegen Frauen und Kinder – tauchen nicht auf. An dieser Frage würde die LINKE politisch in der jetzigen Phase gegen den Strom schwimmen, da die große Mehrheit die Kontaktbeschränkungen aus Angst vor dem Virus begrüßt, wäre aber in der Pflicht, über den Tag hinaus zu denken und zu warnen, wie aus Virenbekämpfung Repression werden kann. Einzelne Abgeordnete wie Niema Movassat und Ulla Jelpke aus NRW haben zu dieser Frage allerdings gut gearbeitet, Material gesammelt und Aufklärung betrieben.

Nach der Diskussion im Vorstand wurde der Text durch die Forderung ergänzt, endlich die Flüchtlinge aus den griechischen Inseln aufzunehmen, das Asylrecht wiederherzustellen und die Abschiebungen zu stoppen. Das ist gut. Die LINKE ist allerdings in der Pflicht, sich intensiver mit dem Versagen der Europäischen Union zu beschäftigen. Merkel und Macron ignorierten die sich entfaltende Katastrophe in Italien. Die Ablehnung der EU-Unterstützung für das Land führte dazu, dass Betriebe und Geschäfte erst spät lahmgelegt wurden und förderten die Ausbreitung des Virus. Corona und Rezession werden die EU in eine schwere Krise treiben. Weitere Austritte bis hin zum Auseinanderbrechen sind möglich. Es wäre die Aufgabe der LINKEN, die Kritik an der neoliberalen Wirtschaftsgemeinschaft von links zu entwickeln und aufzuzeigen, dass die EU nicht reformierbar ist, sondern durch ein solidarisches und sozialistisches Europa von unten ersetzt werden muss.

Die LINKE muss sich jetzt aus dem Einheitsbrei der etablierten Parteien herausheben. Sie muss das späte Reagieren der Verantwortlichen kritisieren. Gleichzeitig muss sie sich auf die kommenden Auseinandersetzungen vorbereiten. Technisch tut sie dies schon, indem sie Online-Kommunikation nutzt, um die Parteigliederungen wieder in Gang zu setzen. Entscheidend ist jedoch die politische Vorbereitung, beginnend bei der Analyse. Sobald wie möglich muss die Partei auf die Straße und in die Betriebe und den Kampf für ein am Menschen orientiertes Gesundheitswesen und gegen die Abwälzung der Krisenlasten aufnehmen.

Beschluss des Parteivorstands DIE LINKE vom 28.03.2020.

Stellungnahme der Antikapitalistischen Linken (AKL).

Lucy Redler ist Mitglied im Parteivorstand der LINKEN und im Bundessprecher*innen-Rat der AKL. Claus Ludwig ist Mitglied im Landessprecher*innen-Rat der AKL NRW.

Foto: Niels Holger Schmidt. CC BY-SA 2.0