Mehrheit der SAV setzt Aufbau nach Abspaltung fort

Ursachen der Krise und ein Blick nach vorn

Die Sonderkonferenz der SAV am 7. September in Berlin markiert den Endpunkt einer zehnmonatigen Krise in unserer internationalen Organisation (CWI, Committee for a Workers International). Schon im Juli hatte sich eine Minderheit auf internationaler Ebene um das Internationale Sekretariat um Peter Taaffe abgespalten und ihre Position im Apparat genutzt, um sich Namen und Ressourcen des CWIs anzueignen. Leider hat sich am vergangenen Wochenende auch in Deutschland eine Minderheit der Abspaltung angeschlossen.

Sowohl international als auch in Deutschland hat sich die Mehrheit gegen die Spaltung ausgesprochen, weil sie die Vorwürfe der Minderheit für nicht gerechtfertigt ansieht.

Damit hat sich eine der größten trotzkistischen Organisationen ohne Not gespalten und das in einer Zeit von Klimakatastrophe, politischen und wirtschaftlichen Krisen und wachsender Polarisierung zwischen Rechts und Links. 

Worum ging es?

Wir haben bereits am 27. Juli zum Konflikt erklärt (der vollständige Text ist hier nachlesbar):

“Entzündet hatte sich der Streit Ende letzten Jahres an Fragen der Politik und Praxis der irischen Sektion des CWI. Auf einem Treffen des internationalen Vorstandes des CWI, bestehend aus gewählten Mitgliedern aus allen Sektionen (genannt IEK), war die engere Leitung (genannt IS) zum ersten Mal in der 45-jährigen Geschichte des CWI in eine Minderheitsposition geraten. Eine Reihe der Mitglieder der IS-Mehrheit standen seit Jahrzehnten an der Spitze der Organisation, einige seit dessen Gründung. Aus dem für sie offenbar überraschenden Umstand, bei einer wichtigen Meinungsverschiedenheit international in die Minderheit geraten zu sein, zogen sie den Schluss, dass es über die Fragen in Irland hinausgehende, fundamentale Differenzen geben müsse. Es kam zu einer aus unserer Sicht völlig unnötigen Eskalation der Debatte um politische Fragen. Diejenigen, die sich jetzt abgespalten haben, folgten damit der Ansicht der IS-Mehrheit, wonach alle, die nicht ihrer Meinung sind, eine „rechts-opportunistische“ Entwicklungsrichtung eingeschlagen hätten, sich dem Druck kleinbürgerlicher Ideen, insbesondere der “Identitätspolitik” , gebeugt hätten und die notwendige Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse und die Gewerkschaften aufgegeben hätten. Aus unserer Sicht sind diese Vorwürfe haltlos. (…)

Was es gab, waren wichtige Diskussionen und teilweise auch Meinungsverschiedenheiten um Fragen wie : Wie positionieren wir uns politisch und praktisch in den Frauenbewegungen? Wie teilen wir unsere begrenzten Kräfte auf die verschiedenen Bereiche der Arbeit auf? Wie formulieren wir unsere Forderungen an die Gewerkschaften? Was sind notwendige Kompromisse, wenn wir in breiten Bündnissen mitarbeiten? Welche, politisch eigentlich unzureichenden, Forderungen können wir unterstützen, welche nicht? Wie gehen wir mit dem Druck um, den parlamentarische Massenarbeit für eine vergleichsweise kleine Organisation schafft?”

Klassenübergreifende Bewegungen und Bewusstseinsentwicklung

Ein Hintergrund der gesamten Debatte war das Aufkommen von starken Bewegungen mit klassenübergreifendem Charakter wie die Klima- oder die Frauenbewegung einerseits und unzureichende Antworten der organisierten Arbeiter*innenbewegung auf die politische, ökonomische und ökologische Krise des Kapitalismus andererseits. Während alle in der Debatte Beteiligten dafür sind, in diese Bewegungen zu intervenieren, ergaben sich für Marxist*innen relevante Fragen über den Stellenwert dieser Bewegungen und die Bewusstseinsentwicklung darin und den Zusammenhang zur Entwicklung von Klassenbewusstsein.

Claus Ludwig, Mitglied des ehemaligen Bundesvorstands und der neuen Leitung der SAV führte dazu in seinem Referat bei der Konferenz aus:

“Aus dem klassenübergreifenden Charakter ergibt sich unweigerlich auch ein gewisser Einfluss bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideen. Aber es ist falsch, diese Bewegungen als quasi unveränderlich „kleinbürgerlich“ abzuhandeln, in die man intervenieren kann, um einige gute Leute zu gewinnen, aber ansonsten auf die „wahren Klassenkämpfe“ wartet. Es handelt sich um Bewegungen gegen Probleme, die im Rahmen des Kapitalismus unlösbar sind. Die Unterdrückung der Frau betrifft direkt 50 Prozent der Menschheit und damit deutlich mehr als 50 Prozent des Armen und Unterdrückten. Der Klimawandel ist die große Zukunftsfrage der Menschheit insgesamt. Und gleichzeitig eine Klassenfrage, weil die Armen (im globalen Maßstab und in jedem Land) die ersten Opfer der Erderwärmung sind. Es sind extrem wichtige politische Fragen, deren Bedeutung für die Radikalisierung von Millionen Menschen nicht zu unterschätzen ist. Es ist eine zentrale Aufgabe von Marxist*innen, in diesen Bewegungen einen sozialistischen Pol aufzubauen. (…)

In letzter Instanz resultiert der Sturz des Kapitalismus aus dem grundlegenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit und dem Kampf um die Aneignung des Mehrproduktes. Das heißt jedoch keineswegs, dass immer und grundlegend die direkte Auseinandersetzung um das Mehrprodukt in Form ökonomischer, betrieblicher, gewerkschaftlicher Verteilungskämpfe im Vordergrund steht oder immer den wichtigsten Beitrag zur Entwicklung des Bewusstseins leistet. Unsere Kritik des Kapitalismus ist die Kritik der POLITISCHEN Ökonomie. 

Wir wollen einen wichtigen Beitrag leisten, die Arbeiter*innenklasse auf die grundlegenden politischen Fragen zu orientieren, darauf, wer die Gesellschaft in wessen Interesse regiert, warum Kriege entstehen, wie die ökologische Frage gelöst, wie Rassismus und Sexismus überwunden werden können. (…)”

Lucy Redler zitierte mit Bezugnahme auf die sich neu stellenden Fragen den Biographen Rosa Luxemburgs Paul Frölich:

“Der Marxismus war ihr keine theoretische Schablone, in der ein für alle Mal alle Fragen gelöst sind. Vielmehr stellte sie sich der Aufgabe, in jeder Entwicklungsphase von neuem den Gang der wirtschaftlichen Umwälzung mit ihren Auswirkungen in den Interessen, Anschauungen, Zielen und im politischen Handeln der Gesellschaftsgruppe zu untersuchen“.

Was dies heute genau bedeutet, wie wir unsere allgemein richtigen Prinzipien und Programm in einer schwierigen Phase konkret anwenden und über andere Fragen hätten wir gern weiter mit den Genoss*innen der Minderheit in CWI und  SAV diskutiert, um gemeinsam zu lernen, uns gegenseitig zu korrigieren und zu unterstützen, anstatt uns ungerechtfertigte Vorwürfe anhören zu müssen, wir würden der systematischen Arbeit in den Gewerkschaften den Rücken zu kehren oder das sozialistische Programm verwässern. Es gibt für all das in Deutschland nicht ein einziges reales Beispiel oder einen einzigen Beleg. In anderen Ländern sind die Belege ebenfalls nicht vorhanden oder sehr dünn. Und an den wenigen Stellen, wo auf beiden Seiten wirklich reale Fehler gemacht wurden, können Fehler korrigiert werden und unterschiedliche Meinungen und Betonungen in einer internationalen Organisation weiter diskutiert und in der Praxis getestet werden.

Zwei Drittel gegen Spaltung

Auf der Konferenz berichtete ein irischer Genosse über die führende Rolle der irischen Schwesterorganisation Socialist Party in einigen aktuellen gewerkschaftlichen Kämpfen, vor allem der Auseinandersetzung in der nordirischen Werft Harland & Wolff, bei der unsere Genoss*innen eine zentrale Rolle spielen und die Forderung nach Verstaatlichung der Werft und Konversion der Produktion, zum Beispiel zum Bau von Windrädern, einbringen. Unterstützer*innen der SAV-Mehrheit betonten auch die Bedeutung der Einhaltung von demokratischen Prinzipien und einer solidarischen und offenen Diskussion über Differenzen in unseren Organisationen.

Die deutliche Mehrheit der Delegierten auf der Bundeskonferenz votierte gegen die Spaltung. Von insgesamt 86 Delegierten stimmten 53 gegen eine Spaltung und 30 Delegierte für die Abspaltung. Dieses Ergebnis ist besonders bemerkenswert, weil seit Monaten eine Mehrheit der Bundesleitung, des Bundesvorstandes und der Hauptamtlichen der SAV für eine Abspaltung geworben hatten. 

Die Konferenz beschloss eine Resolution, in der es unter anderem heißt:

“Wir sind der Meinung, dass die politischen Unterschiede und Fragen, die im Zuge der Debatte aufgetreten sind, keine Spaltung rechtfertigen. (…) Die Diskussion über Ursachen und Lehren aus der Krise des CWI werden wir in den kommenden Monaten bis zum Weltkongress im Januar 2020 fortsetzen und sie dabei in einer konstruktiven und solidarischen Weise führen. Einige erste Lehren sind aber bereits jetzt deutlich: Wir brauchen eine internationalere und kollektivere Internationale. Wir brauchen einen besseren und offeneren Umgang mit Differenzen und Kritik, damit sich nicht erneut viele Konflikte anstauen. Wir brauchen einen offeneren Umgang mit Schwierigkeiten im Aufbau, um gemeinsam auch aus Fehlern und Niederlagen zu lernen. 

Wir stellen uns der Aufgabe, die Internationale weiter aufzubauen. Wir stehen weiter auf der Grundlage der programmatischen Grundlagen des historischen CWI. Die Arbeiter*innenklasse ist aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozess die entscheidende Kraft, um revolutionäre Veränderungen durchzusetzen. Mit der Übergangsmethode bilden wir eine Brücke von der Notwendigkeit der sozialistischen Revolution zum heutigen Bewusstsein.

Beides, die Orientierung auf die Arbeiter*innenklasse und die Anwendung der Übergangsmethode, ist für uns auch in klassenübergreifenden Bewegungen von zentraler Bedeutung. Wir verteidigen die demokratischen Prinzipien der  Arbeiter*innenbewegung von jederzeitiger Wähl- und Abwählbarkeit, Rechenschaftspflicht, der Ablehnung von Privilegien und einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn für gewählte Funktionär*innen der Arbeiter*innenbewegung.”

Um weitere Konflikte zu vermeiden und sich so schnell wie möglich wieder auf politische Arbeit konzentrieren zu können, hatten sich beide Fraktionen in Deutschland im Vorfeld auf eine “gütliche Trennung” verständigt, um die Ressourcen der SAV aufzuteilen. Diese beinhaltet unter anderem, die finanziellen Ressourcen 50/50 aufzuteilen und zusätzlich der Minderheit den Manifest-Verlag und den Namen der Zeitung zu überlassen. Dieser Regelung stimmte die Konferenz einstimmig zu, obwohl die Mehrheitsverhältnisse bei der Konferenz deutlich waren.

Wir machen weiter

Am Sonntag setzte die  Mehrheit der SAV die Konferenz fort. Die Anwesenden diskutierten über eine politische Bilanz aus der Krise und der Spaltung und wie solche Entwicklungen in Zukunft verhindert werden könnten, aber vor allem über die nächsten Schritte im Wiederaufbau der Organisation und der Internationale. Dabei betonten mehrere Redner*innen die Bedeutung einer demokratischen Organisation und einer rechenschaftspflichtigen Leitung. Viele brachten ihr Bedauern über die Spaltung zum Ausdruck und dass sie davon ausgehen, dass diese nicht nur unnötig, sondern auch außerhalb der Organisation nicht zu vermitteln sei.

International …

Andros Payiatsos, Mitglied der neu gewählten internationalen Leitung, berichtete vom letzten internationalen Vorstandstreffen der CWI-Mehrheit (dem Internationalen Exekutivkomitee) bei dem die ersten Schritte zum Wiederaufbau unserer internationalen Strukturen ergriffen wurden, nachdem die internationale Führung die Organisation verlassen hatte. An dem Treffen beteiligten sich Genoss*innen aus 25 unterschiedlichen Ländern aus allen Kontinenten.

Dabei wurden neben der notwendigen organisatorischen Schritte vor allem auch die ökonomischen und politischen Perspektiven für die kommende Periode diskutiert und auch praktische Schritte für den Aufbau unserer Internationalen beschlossen.

Unter anderem wurde eine internationale Kampagne zum weltweiten Klimastreik rund um den 20. September gestartet unter dem Motto “System change not climate change – Fight for a socialist alternative” mit sieben Forderungen, gemeinsamen Aktionsideen und einem gemeinsamen Auftreten bei der Demonstration am 21. September in Paris. Außerdem soll es eine gemeinsame Kampagne und mehr Austausch zum internationalen Frauenkampftag am 8. März 2020 geben und ein internationales Frauenbüro aufgebaut werden.

Ein weiterer Tagesordnungspunkt behandelte unsere Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit. In den Monaten bis zum Weltkongress Anfang 2020 wollen wir in der gesamten Internationale einen Diskussionsprozess organisieren, der die Organisation kollektiver aufstellt und auf die kommende Periode vorbereitet. 

… und in Deutschland

Ein Großteil der Konferenz drehte sich um die politischen Perspektiven in Deutschland und die zukünftige politische Arbeit der SAV.

Als ersten Höhepunkt planen wir die Beteiligung aller SAV-Gruppen am Klimastreik am 20. September mit sozialistischen Ideen und unterstützen die Mobilisierung im Vorfeld. Wir haben eine antikapitalistische Klimazeitung in einer Auflage von 5000 Stück produziert, die ihr in Kürze auf www.sozialistischealternative.info findet. Unsere Mitglieder versuchen vor Ort, Streiks oder betriebliche Aktionen in ihren Betrieben und Gewerkschaften zu unterstützen und entsprechende Anträge einzubringen. Die GEW in Köln hat beschlossen, ihre Mitglieder dazu aufzufordern als organisierter “Ausflug” an den Protesten teilzunehmen. In Berlin konnte ein SAV-Mitglied die Planung einer Streikbeteiligung in einem kleinen IT-Betrieb umsetzen.

Wir werden zur Demo gegen Mietenwahnsinn am 3.10. in Berlin mobilisieren und uns mit inhaltlichen Positionierungen, Aktionsideen und Mobi-Power einbringen.

Wir werden unsere Arbeit in der LINKEN, in Linksjugend, bei der AKL, in den Gewerkschaften und in Bündnissen im Rahmen unserer Möglichkeiten fortsetzen.

Neue Leitung gewählt

Daneben werden wir die Debatte über die Ursachen der Krise und der Spaltung fortsetzen, um  Fehlentwicklungen aus der Vergangenheit zu korrigieren und um eine Wiederholung in der Zukunft zu verhindern. Dieser Prozess soll in einer Konferenz der SAV Anfang 2020 münden. Als vorübergehende politische Leitung der SAV wurde ein provisorisches Komitee bestehend aus elf Genoss*innen gewählt: Heino Berg, Conny Dahmen, Anne Engelhardt, Linda Fischer, Christoph Glanninger, Georg Kümmel, Claus Ludwig, Sebastian Rave, Lucy Redler, David Schultz und Jeanine Thümmig.

Die SAV hat Ortsgruppen in Aachen, Berlin, Bremen, Bremerhaven, Göttingen, Kassel, Köln, Hamburg und eine Präsenz von Mitgliedern in München, Stuttgart, Karlsruhe, Hannover, Flensburg und Rostock. 

Wir sind uns bewusst, dass diese Entwicklung ebenso überraschend wie unverständlich erscheinen muss. Auch wir bedauern diese unnötige Spaltung. Aber solche Krisen, so bitter sie auch sein mögen, bieten auch Chancen für die Zukunft. In dem Sinne sind wir fest entschlossen, an unseren Prinzipien festzuhalten und zugleich frischen Wind durchs Haus wehen zu lassen.

Wir wünschen unseren ehemaligen Genoss*innen alles Gute und sind zuversichtlich, dass wir angesichts unserer Gemeinsamkeiten solidarisch in Bewegungen, Gewerkschaften und der LINKEn aktiv sein werden.

Alle Mitglieder der SAV-Leitung stehen für Nachfragen, Feedback zu diesem Bericht, Anmerkungen und Kritik zur Verfügung. Ihr erreicht uns per E-Mail oder direkt vor Ort über Genoss*innen eures Vertrauens.

Den Konferenzbeschluss vom 8. September werden wir auf www.sozialistischealternative.info zeitnah veröffentlichen.

Wir bitten alle bisherigen Abonnent*innen und monatlichen Spender*innen, ihre Daueraufträge ab 1. Oktober 2019 auf unser neues Konto umzustellen. Weitere Informationen dazu folgen.

Wir freuen uns auf neue Mitglieder und viele gemeinsame Kämpfe und Erfolge mit euch allen. 

Eine andere Welt ist möglich, eine sozialistische Welt ist nötig!

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