Kein nächstes Opfer! NSU-Komplex auflösen!

Rede von Junias Omollo zum Gedenken an Halit Yozgat

Liebe Antifaschistinnen, liebe Antifaschisten,
Liebe Antirassistinnen und Antirassisten,

es sind nun mehrere Jahre vergangen seitdem Halit Yozgat Opfer einer faschistischen Terrorgruppe und in seinem Internetcafé ermordet wurde. Deswegen, und auch im Zeichen aller weiteren Opfer und Betroffenen, demonstrieren wir heute hier, demonstrierten vor wenigen Tagen Hunderte in Dortmund. Denn die Forderung nach einer umfassenden Aufklärung und nach Gerechtigkeit für allen von Rassismus und rassistischer Gewalt betroffenen Menschen ist längst überfällig. Laut einem Bericht des Bundestags-Ausschusses zu den NSU-Morden „war sich die Politik einig in der Forderung nach lückenloser, gründlicher und vollständiger Aufklärung des staatlichen Versagens“. Die Erkenntnisse der letzten Jahre und die aktuelle Lage in Deutschland geben aber tatsächlich Grund zur Annahme, dass staatliche Organe weit entfernt von Aufklärung agieren und weit tiefer in dieser Affäre verstrickt waren und sind. Unsere Forderungen sollten erneut sichtbar machen, dass es sich beim NSU nicht nur um ein Trio, sondern um ein staatlich unterstütztes Netzwerk handelt. Das ist ein Skandal!
Auch heute sehen wir erneut, welchen Ausdruck staatlicher Rassismus und die Verstrickung staatlicher Organe in rechten Strukturen annimmt. Auch heute erleben Antifaschistinnen und Antifaschisten regelmäßig welche Rolle der Staat in der Bekämpfung von Nazis einnimmt.

Das Verbot kurdischer Symbole und Flaggen kriminalisiert Demonstrationen und Kundgebungen und beschneidet das Versammlungsrecht. Der Gesetzesentwurf zur Verschärfung der §113 und §114 soll „tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte“ mit einer Mindeststrafe von drei Monaten bestrafen und würde das Versammlungsrecht zusätzlich einschränken. Nach wie vor werden friedliche Blockaden und Proteste gegen Naziaufmärsche brutal angegriffen. Gleichzeitig müssen sich viele Menschen rassistische Polizeikontrollen und Alltagsrassismus gefallen lassen. Die Repressionen gegen linke Bewegungen und staatlicher Rassismus zeigen wieder und wieder welche Prioritäten gesetzt werden. Das lassen wir uns nicht gefallen!
Auf der Grundlage von rechten Neigungen, dem aktuellen politischen Rechtsruck und der allgemeinen Verbreitung rassistischer Ideen nehmen scheinbar große Teile der Polizei, Geheimdienste und Justiz Nazi-Gewalt entweder nicht ernst, schauen weg oder sympathisieren sogar damit.
Das Versagen der Behörden wird auch auf andere Ebene deutlich: so sind mehrere Hundert Haftbefehle gegen untergetauchte Faschisten nicht vollstreckt worden, es gab letztes Jahr mehr als 900 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Nazis besetzen in manchen Städten bereits ganze Stadtteile und terrorisieren dort MigrantInnen und Linke. Dagegen wehren wir uns heute und alle anderen Tage!

Doch was bedeutet all dies für uns?
Der Verfassungsschutz handelt nicht in unserem Interesse, er hat weder die Aktivitäten von militanten Faschisten verhindert, noch der Verbreitung von faschistischen Ideen entgegengewirkt. Seine veröffentlichten Beobachtungen über die Nazi-Szene sind im Gegensatz zu antifaschistischer Recherchearbeit von AktivistInnen ungenau und weniger umfassend. Der Verfassungsschutz und andere Behörden haben allenfalls zum Aufbau und der ungestörten Entwicklung von Nazi-Gruppen beigetragen. Geheimdienste wie der Verfassungsschutz sind undemokratisch und unkontrollierbar und sollten konsequent abgeschafft werden. Und zwar so schnell wie möglich, um weitere Opfer zu verhindern – je früher der Verfassungsschutz weg ist, desto besser!
Undemokratische Sondergesetze, das Verbot kurdischer Flaggen oder andere Einschränkungen des Demonstrationsrechts sind aufzuheben. All diese Gesetze haben in der Vergangenheit weder den Mord an Halit Yozgat und allen anderen Opfern, noch die vielen brennenden Unterkünfte verhindert. Polizei und Justiz mangelt es nämlich nicht an ausreichend Mitteln, um gegen rassistische Morde und Nazis vorzugehen. Es mangelt ihnen allenfalls am Willen, diese im Interesse aller Opfer faschistischer Gewalt einzusetzen.
Klar ist deshalb: Wir müssen auf allen möglichen Ebenen gegen Nazis und ihre Gruppierungen vorgehen und können uns nicht auf den Staat verlassen. Wir müssen selbst aktiv werden:

Wir müssen ihr öffentliches Auftreten hier und anderswo konsequent stoppen, wir müssen ihnen politisch den Kampf ansagen und eine Alternative zu rechter Hetze, Terror und unsozialer Politik aufzeigen.
Das bedeutet, dass wir dem aktuellen politischen Rechtsruck mit einem sozialen Programm entgegentreten müssen.
Das bedeutet auch, dass wir sie in ihrem Umfeld outen, innerhalb und außerhalb des Parlaments entlarven und ihnen keinen Raum für ihre Hetze geben:
Reißt ihre Sticker ab, blockiert ihre Aufmärsche und verdrängt sie aus den Stadtteilen!
Der antifaschistische Widerstand bleibt weiterhin unsere Arbeit, gemeinsam fordern wir deshalb: kein Vergeben, kein Vergessen, kein nächstes Opfer – hier und überall auf der Welt!

Rede von Junias Omollo als Vertreter der SAV Kassel bei der Demonstration am 6. April zum elften Jahrestag der Ermordung Halit Yozgats durch den NSU

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