Spanien: Wie muss PODEMOS ausgerichtet sein?

Erklärung von „Izquierda Revolucionaria“

Vorbemerkung: Im Folgenden veröffentlichen wir den Leitartikel der Januarausgabe von „El Militante“. Es handelt sich hierbei um die Zeitung von „Izquierda Revolucionaria“, einer marxistischen Organisation im spanischen Staat, mit der sich das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) in einem Prozess der Zusammenarbeit und Fusion befindet. Beim Parteitag von PODEMOS hat Pablo Iglesias die Wahl zum Vorsitzenden gewonnen. Weitere Analysen werden wir auf sozialismus.info veröffentlichen.

Vom 10. bis 12. Februar wird PODEMOS seine „Bürgerversammlung“ abhalten. Diese findet im Kontext heftiger, öffentlich ausgetragener, innerparteilicher Konflikte zwischen dem Flügel um Pablo Iglesias und dem unter der Führung von Íñigo Errejón statt. Den drastischsten Ausdruck fand diese Auseinandersetzung bislang im Dezember, als die Mitglieder von PODEMOS befragt wurden, welche Funktion die o.g. Versammlung habe soll. 41,57 Prozent stimmten für die Vorschläge von Iglesias, 39,12 Prozent für die von Errejón und 10,5 Prozent für die der „Anticapitalistas“ (eine Strömung unter Führung von Mitgliedern des „Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale“ in Spanien). Worauf lässt sich dieser Konflikt zurückführen? Geht es lediglich um einen Machtkampf oder steht eine Entscheidung über wirklich unterschiedliche politische Projekte an? Welche Rolle kommt der herrschenden Klasse, ihren Medien und der Sozialdemokratie in dieser Auseinandersetzung zu? Zweifellos hat diese Versammlung nicht nur für die Zukunft von PODEMOS große Bedeutung sondern auch für die gesamte Linke und den Klassenkampf im spanischen Staat.

Ausschlaggebend für die derzeitige Krise im Vorstand von PODEMOS war das Ergebnis der Parlamentswahlen vom 26. Juni. Nach einer Phase des explosionsartigen Wachstums, die von großem Optimismus und von großen Erwartungen gekennzeichnet war, hatten der Verlust von einer Million Stimmen (im Vergleich zu den Wahlen vom 20. Dezember 2015) und das Versagen der SozialdemokratInnen von PSOE, die Macht zu übernehmen, eine große Auswirkung sowohl auf die Parteiführung als auch auf die Mitgliedschaft von PODEMOS. Im Parteivorstand wurden einander widersprechende Schlussfolgerungen darüber gezogen, wie und warum es dazu kommen konnte.

Jetzt, da der Versuch der Bürgerlichen, PODEMOS völlig zu zerstören, gescheitert ist, ist es kein Geheimnis mehr, dass die herrschende Klasse sich auf den Ansatz konzentriert, der Partei eine sozialdemokratische Ausrichtung zu verpassen. Der Leitartikel der größten kapitalistischen Zeitung „El Pais“ vom 12. Dezember mit dem Titel „Kämpfe innerhalb von PODEMOS“ ist vielsagend: „Errejón verteidigt ein moderneres, demokratischeres und offeneres PODEMOS, das sich von der Verwirrung unterscheidet, die Iglesias mit einer Strategie der ideologischen Radikalisierung und der Mobilisierung der Straße angezettelt hat. Im Ergebnis dessen wurden der Einfluss und die Verhandlungsmacht der Partei im Parlament aufgeweicht […]“.

Íñigo Errejón hat seine Position wiederholt klargemacht, wonach die Arbeit auf parlamentarischer Ebene zu den Grundpfeilern der politischen Ausrichtung von PODEMOS gehören sollte. Er sagt, dass die Partei „nicht nur protestieren und anprangern“ darf und dass „unsere Gegner in PODEMOS gerne eine formell radikale Kraft sehen würden, die im Wesentlichen unfähig ist, die Lebensbedingungen der Menschen zu verändern“. Er hält nur die sterile Phrasendrescherei für wirklich „radikal“ und verfolgt dabei das Ziel, jede Alternative zum kapitalistischen System, die auf dem Ansatz der Mobilisierung basiert, zu verwerfen. In Wirklichkeit übernimmt er dieselbe Sprache und dieselbe Position, wie wir sie von der traditionellen Sozialdemokratie her kennen, die in der Praxis nur die kapitalistischen Interessen befördert.

Nach dem 26. Juni neigte Pablo Iglesias zunächst dazu, eine Strategie der Demobilisierung zu vertreten. Als aber klar wurde, dass dieser Ansatz nur die Rechte – innerhalb wie außerhalb von PODEMOS – stärker werden lässt, stellte er eine Reihe kritischer Überlegungen an. Er fragte, ob es tatsächlich das Image von der „moderaten Kraft“ sei, das PODEMOS dieses unerwartet schlechte Wahlergebnis beschert habe. Er sagte, es sei ein Fehler gewesen zu versuchen, den Platz der Sozialdemokratie einzunehmen, nur um auf diese Weise einen Teil der Wählerschaft nicht zu „vergraulen“. Vor kurzem erst redete er von der Notwendigkeit, „die Straße zu erobern“ und davon, dass die Gewerkschaften zum Generalstreik gegen die Politik der regierenden konservativen PP aufrufen müssten. Darüber hinaus warnte er vor der Gefahr, „sich mit dem Leben im Parlament abzufinden“ und: „sich quer zu stellen bedeutet nicht, sich das Aussehen unserer Gegner anzueignen, sondern muss vielmehr heißen, wie die PAH (Bewegung gegen Zwangsräumungen) rüberzukommen“. Es ist offensichtlich, dass dieser Linksruck in seine Reden den Prozess des Klassenkampfs und dessen Auswirkung auf eine solch instabile Formation wie PODEMOS reflektiert.

Reform oder Bruch mit dem System

All diese Erklärungen haben ihre eigene Dynamik. Wohin führt der sogenannte „Realo-Kurs“ von Errejón? Im besten Fall zur Verwandlung von PODEMOS in eine „PSOE 2.0“. Seine Strategie ist das Rezept dafür, dass PODEMOS in der Katastrophe endet. Natürlich muss PODEMOS einen beträchtlichen Teil der Unterstützung aus der Gesellschaft für sich gewinnen, die PSOE historisch für sich in Anspruch nehmen konnte. Das darf aber nicht geschehen, indem man das pro-kapitalistische Programm der Sozialdemokratie übernimmt, das der wahre Grund für den Verfall von PSOE ist. Die Umfragen zeigen, dass PSOE im Falle von Neuwahlen mehr als anderthalb Millionen Stimmen verlieren würde. Überrascht das irgendjemanden, nachdem man mit ansehen musste, wie Susana Diaz und die „Barone“ der Regionalgliederungen von PSOE die Regierungsmacht an Rajoy übergeben haben und nun mit der Austeritätspolitik der Volkspartei (PP) kollaborieren?

Wir von „Izquierda Revolucionaria“ sympathisieren mit den oben zitierten Erklärungen von Pablo Iglesias. Die Gefahr für die Zukunft von PODEMOS besteht genau darin, dass sie sich mit dem System arrangiert. Deshalb ist es notwendig, eine klare politische Ausrichtung zu haben. In Wahrheit verhüllen die parlamentarischen Spielchen die Realität der Diktatur des Kapitals. Die Krise, die der Mehrheit der Bevölkerung nur Leid und Elend bringt, setzt sich fort. Und das wird so lange der Fall sein, wie die Grenzen des Kapitalismus respektiert werden. Was sich daraus ergibt, ist klar: Es muss ein Programm angenommen werden, mit dem man sich von dieser Zwangsjacke befreien kann und das eine entschlossene sozialistische Politik voran bringt. Enthalten sein muss die Forderung nach Verstaatlichung der strategisch bedeutenden Wirtschaftsbereiche, Widerstand gegen Kürzungen und Austerität, Verteidigung der öffentlichen Bildung und Gesundheitsvorsorge, das Recht auf angemessenen Wohnraum und die Verteidigung demokratischer Rechte wie zum Beispiel dem Recht auf nationale Selbstbestimmung.

Würde Pablo Iglesias klar und deutlich eine derartige Alternative verteidigen, so würde dies den Bestrebungen von Millionen von ArbeiterInnen und jungen Leuten entsprechen, die zu dem Teil der Bevölkerung gehören, der am stärksten unterdrückt wird. Es würde all jenen entsprechen, die in diesem System keine Perspektive sehen. Es reicht nicht, wenn man nur von Zeit zu Zeit links blickt. „Überlegungen“, die keine Konsequenz in der Praxis nach sich ziehen, sind nicht genug. Will man feste Verbindungen zu den Massen herstellen, die schließlich die wahre Macht von PODEMOS darstellen, so muss man eine wahrhafte sozialistische Alternative des Wandels verteidigen und sich an den täglichen Kämpfen der ArbeiterInnen und der jungen Leute beteiligen.

Sollte es am Ende der jetzigen Auseinandersetzung lediglich zu einem „gentlemen´s agreement“ an der Spitze der Partei kommen, das den Eindruck vermittelt, es habe sich bei allem nur um einen Kampf um die Kontrolle über den Apparat gehandelt, dann wäre das der Sieg für diejenigen, die wollen, dass PODEMOS sich immer stärker den Bedürfnissen des Systems unterwirft.

Der Parteiflügel um Errejón hat die moralische, politische und materielle Unterstützung der herrschenden Klasse und ihrer Sprachrohre. Ihr größtes Pfund besteht allerdings darin, dass Iglesias und sein Flügel zu träge sind und sie es nicht vermögen, eine konsequente Alternative voranzubringen. Für all diejenigen, die der Ansicht sind, dass es eine Partei wie PODEMOS braucht, die den Interessen der Beschäftigten, der jungen Leute, Erwerbslosen, prekär Beschäftigten und aller Unterdrückten gerecht wird, besteht darin die wesentliche Aufgabe. Es kann keinen menschlichen Kapitalismus geben und es kann keine Reformen geben, die der Bevölkerung umfassend nutzen, wenn diese nicht zuvor erkämpft worden sind. Ohne Sozialismus kann es keinen echten Wandel geben.