Weltwirtschaft: Der Kapitalismus segelt in unruhigem Fahrwasser

Foto: http://www.flickr.com/photos/pressreleasefinder/ CC BY-NC-ND 2.0
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Kosten der Wirtschaftskrise sollen auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden – nötig ist der Kampf für ein anderes System

Jedes Jahr trifft sich die kapitalistische Elite dieser Welt zum „Weltwirtschaftsforum“ im noblen schweizerischen Ski- und Ferienort Davos. Dieses Jahr war die Atmosphäre von Angst und Pessimismus gekennzeichnet. Man sorgt sich um eine Weltwirtschaft, die einem wahren Sturm entgegengeht. Und tatsächlich segelt der Weltkapitalismus schon jetzt in unruhigen Gewässern.

Von Lynn Walsh

Seit der Krise der Jahre 2007 bis 2010 ist es lediglich zu einer langsamen und vor allem kraftlosen „Erholung“ gekommen. Das Wachstum verlief seither eher schwerfällig, nur die USA bilden in diesem Zusammenhang eine teilweise Ausnahme.

Das Weltwirtschaftswachstum (reales Bruttoinlandsprodukt) lag von 2003 bis 2012 im Schnitt bei vier Prozent. In dieser Zeitspanne kam es sowohl zu Boom-Phasen als auch dem Niedergang von 2007 bis 2010. Von 2013 bis 2015, ein Abschnitt, der gemeinhin als „Phase der Wiederbelebung“ bezeichnet wird, rangierte das weltweite Wachstum bei lediglich 3,1 Prozent. Die entwickelten OECD-Volkswirtschaften verzeichneten von 2003 bis 2013 ein durchschnittliches Wachstum von 1,7 Prozent. Zwischen 2013 und 2015 wird von einem Wachstum von 1,7 Prozent gesprochen. Das kann man wohl kaum als echte Wiederbelebung bezeichnen.

Europa und Japan stagnieren. Die „Quantitative Lockerung“, eine Maßnahme zur Bereitstellung günstiger Kredite durch die Zentralbanken, hat nicht dazu beigetragen, die Produktion von Waren bzw. die Zurverfügungstellung von Dienstleistungen wiederzubeleben. Eine Austeritätspolitik, die mit dramatischen Kürzungen der Staatsausgaben einhergeht, hat einer Wiederbelebung im Wege gestanden und zu chronischer Massenerwerbslosigkeit geführt.

Bisher hat die Quantitative Lockerung nur neue Blasen auf dem Immobilienmarkt, bei den Finanzobligationen und Aktien erzeugt.

Billige Kredite führten zu umfangreicher Investitionstätigkeit des Westens in den Entwicklungsländern, den sogenannten „Schwellenländern“, was eine ganze Reihe von Blasen auf den Immobilienmärkten, im Rohstoffhandel und bei den Finanzanlagen hervorgebracht hat. Dies war in den letzten Jahren eine der wichtigsten Quellen für das globale Wachstum.

Doch die heftige Abkühlung in China und der Rückgang des Ölpreises haben das alles grundlegend verändert. Es kommt zum umfangreichen Abzug von Kapital aus weniger entwickelten Ländern, wozu auch China zu zählen ist. Ihre Exporte sind in den Keller gegangen. Russland, Brasilien und einer größeren Anzahl an Rohstoff-exportierenden Ländern drohen nun wirtschaftlicher Abschwung und soziale Unruhen. Die Schwellenländer, die auch als aufstrebende Märkte bezeichnet werden, haben sich in letzter Zeit eher zu abtauchenden Märkten entwickelt. Sie verhalten sich wie leckgeschlagene Schlauchboote.

Über Jahre hinweg war China die Lokomotive für das Weltwirtschaftswachstum. Von 2003 bis 2012 wuchs das reale BIP um durchschnittlich 10,5 Prozent. 2015 ging der Wert auf 6,8 Prozent zurück, und selbst diese Angabe wird von vielen noch als bei weitem übertrieben betrachtet. Jetzt sind die Abkühlung und die Ängste vor einer möglichen katastrophalen Entgleisung eine Quelle für neue Krisen.

Diese Trends zeigen sich auch im Finanzsektor. An den weltweiten Börsenplätzen ist es jüngst zu einem ständigen Auf und Ab gekommen. In Davos beklagten sich die führenden Köpfe zwar über diese Tendenzen. Es wurde aber deutlich, dass niemand von ihnen irgendeine Idee hat, wie man eine neue Krise verhindern kann.

Das Öl

In der Vergangenheit kam billiges Öl dem Kapitalismus üblicher Weise zu Gute. Heute ist es ein Grund für die Krisen.

Große Öl-produzierende Länder wie Russland, Nigeria und Saudi-Arabien sind abhängig geworden von riesigen Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Der Rückgang der Ölpreise von ehedem über einhundert Dollar pro Barrel im letzten auf dreißig Dollar pro Barrel in diesem Jahr hat ihre Staatshaushalte schwer getroffen. Das gilt auch für staatliche Subventionen für Lebensmittel, Wohlfahrt und Bildung.

Es ist auch zu einem Rückgang der Rohstoffpreise (vor allem bei den Mineralien) gekommen. Das hat die Exporteinnahmen von Ländern wie Brasilien drastisch reduziert.

Die OPEC-Staaten haben es bisher abgelehnt, die Fördermengen zu drosseln, um das Überangebot auf dem Öl-Markt zu reduzieren und die Preise zu stabilisieren. Sie nutzen billiges Öl als Waffe, mit der sie die Ölproduzenten, die höhere Produktions- und Förderkosten haben (wie zum Beispiel den Schieferöl-Produzenten USA), vom Markt fernhalten wollen.

Große Ölkonzerne schrauben jetzt bei der Erkundung neuer Felder und allgemein bei der Entwicklung die Investitionen zurück. Zehntausende ArbeiterInnen in der Ölbranche sind schon entlassen worden.

Viele Öl-fördernde Unternehmen haben sich stark verschuldet, um die Erkundung und den Ausbau neuer Felder zu finanzieren. Das hat den Schuldenberg heftig anwachsen lassen.

Die Schwellenländer

Die weniger entwickelten Länder, die auch als „Schwellenländer“ oder „aufstrebende Märkte“ firmieren, sind durch den jüngsten Aufruhr am schwersten getroffen worden.

Bei vielen dieser Volkswirtschaften handelt es sich in erster Linie um Rohstoffexporteure. Die zurückgehende Nachfrage, die vor allem auf die Abkühlung in China zurückzuführen ist, hat verheerende Folgen nach sich gezogen.

Nach dem Abschwung von 2007 bis 2010 bildeten die Schwellenländer zusammen mit China die wesentliche Quelle für anhaltendes weltweites Wachstum. Spekulatives Kapital aus den entwickelten Ländern strömte in diese Länder, was zum Aufblähen einer ganzen Reihe von Spekulationsblasen geführt hat.

In den letzten Monaten hat sich diese Tendenz auf ziemlich drastische Weise umgekehrt. Spekulatives Kapital fließt jetzt zurück in die entwickelten kapitalistischen Länder (vor allem in die USA), die als „sicherer Hafen“ für Finanz- und Immobilienanlagen betrachtet werden.

Die meisten dieser weniger entwickelten Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika driften gerade ebenfalls in die Krise.

Die Angst der Eliten von Davos geht auf den Rückgang des Ölpreises zurück und auf die Abkühlung in China. Sie fürchten, dass aus der Abkühlung eine lang anhaltende Abschwungphase wird.

Zwischen 2003 und 2012 lag das reale (inflationsbereinigte) BIP Chinas bei durchschnittlich 10,5 Prozent pro Jahr. 2015 sank das BIP-Wachstum auf 6,8 Prozent. Und selbst diese Zahl wird gemeinhin als übertrieben angesehen.

Bisher importierte China riesige Mengen an Rohstoffen und Maschinen. Dies hat sich heftig verändert, und das Regime hat versucht, die Binnennachfrage zu steigern, und vom Schulden-finanzierten und Export-orientierten Wachstum wegzukommen.

Weiche Landung?

Doch die Boom-Jahre haben ein Erbe hinterlassen: eine riesige Immobilienblase, eine Finanzblase und einen Berg an Schulden. Vielen Unternehmen des produzierenden Gewerbes droht nun die Pleite, und die Banken, die ihnen Kredite gegeben haben, stöhnen unter der Anzahl an zahlungsunfähigen Schuldnern.

Die führenden Köpfe in China behaupten, sie würden für ein stärker ausbalanciertes Wachstum sorgen, die Rolle der mit Schulden finanzierten Investitionen im Bereich der Infrastruktur, Industrie und Immobilien zurückdrängen und die Binnennachfrage anfachen, indem sie die Löhne anheben und die soziale Sicherheit verbessern.

Das Regime hat immer noch enorme Ressourcen zur Verfügung, mit denen es ins Taumeln geratene Banken und Unternehmen retten sowie die Lebensstandards subventionieren kann. Kann es aber auch für eine weiche Landung der Wirtschaft sorgen? Das ist kaum vorstellbar. Die Wirtschaft könnte außer Kontrolle und in einen tiefen Abschwung geraten.

Die große Anzahl an Streiks und Protesten, die zu verzeichnen ist, deutet auf die Möglichkeit hin, dass es zu explosiven Bewegungen der Arbeiterklasse, verarmten Lohnabhängigen sowie Bäuerinnen und Bauern kommen kann.

Jede Wirtschaftskrise verläuft unterschiedlich. Die Abwärtstrend von 2007 bis 2010 (der häufig als „Große Rezession“ bezeichnet wird) hatte seinen Anfang im Finanzsektor. Die riesige Finanzblase stand in Verbindung mit dem Crash auf dem Immobilienmarkt in den USA und andernorts. Das hatte den Zusammenbruch einer Reihe von Großbanken und Finanzhäuser zur Folge.

Der Kollaps auf den Finanzmärkten führte weltweit zu einem gewaltigen Abschwung bei der Produktion, dem Handel und der Verbrauchernachfrage. Man hat sich von der Krise immer noch nicht komplett wieder erholt.

Dieses Mal beginnt die Krise in der sogenannten „Real“-Wirtschaft und geht mit einem Rückgang bei Investitionen, Produktion und Handel einher.

Großkonzerne horten Bar- und Finanzreserven anstatt in neue Produkte und Dienstleistungen zu investieren. Man geht dabei von insgesamt sieben Billionen Dollar an Geldreserven aus, so Min Zhu, der stellvertretende Geschäftsführer des IWF. Widerspiegelt dies nicht einen fundamentalen Mangel an Zuversicht, was die Aussichten für den Kapitalismus angeht?

Die führenden Köpfe des Kapitalismus haben in sich widersprüchliche Politikansätze vertreten, die eher den Charakter von Selbstverteidigungsmaßnahmen haben. Sie haben wilde Austeritätsprogramme aufgelegt, die Staatsausgaben zurückgefahren und somit das Wachstum stranguliert.

Eine weltweit hohe Erwerbslosigkeit und die nur schwachen Lohnsteigerungen haben dazu geführt, dass die Nachfrage der VerbraucherInnen rückläufig ist. Bisher haben sie nur eine Reihe von Programmen der Quantitativen Lockerung aufgelegt, über die die Zentralbanken billige Kredite in die Wirtschaft pumpen.

Das ist nichts anderes als „Sozialpolitik“ für die Bankiers. Anstatt das Wachstum der Realwirtschaft zu stimulieren, ermöglicht die Quantitative Lockerung den Spekulanten, Blasen im Immobiliensektor und auf den Finanzmärkten (an den Börsen etc.) aufzupumpen.

Wenn der Abwärtstrend – was wahrscheinlich ist – anhält, so wird dies eine Krise im Finanzsektor auslösen. Die Verwerfungen, zu denen es in den vergangenen Wochen an den Börsenplätzen dieser Welt gekommen, sind ein Vorgeschmack auf das, was noch zu erwarten ist.

Finstere Stimmung in Davos

In Davos haben sich die Eliten der Weltwirtschaft auf ziemlich unterirdische Art und Weise auch mit einer Reihe von geopolitischen Problemen befasst: mit einer Flüchtlingskrise, die den Zusammenhalt der EU bedroht, mit dem Krieg im Nahen Osten und seinen terroristischen Folgen auf internationaler Ebene, mit zunehmenden Spannungen zwischen den westlichen Mächten und Russland (inklusive des Konflikts in der Ukraine), mit der Ebola-Pandemie und nun noch mit dem Zika-Virus in Lateinamerika.

Was vorausgesagt werden kann, ist, dass die kapitalistische Klasse sich bemühen wird, die Kosten dieser Krisen auf die Arbeiterklasse und Teile der Mittelschicht abzuwälzen. Die Proteste von heute werden morgen zu mächtigen Kämpfen anwachsen – zu einem gemeinsamen Kampf für die Veränderung dieses Systems.

Dieser Artikel erschien zuerst in der britischen Zeitung „The Socialist“ am 4. Februar 2016.