Lateinamerika wieder an vorderster Front der Klassenkämpfe

Mittel & SüdamerikaBericht von der CWI- Sommerschulung

Während der europäische Kontinent in den letzten Jahren vom heftigen Widerstand gegen die Krisenfolgen und die Austeritätsexzesse der Troika geprägt war, hatte von Mexiko bis Argentinien relative Ruhe in den Klassenauseinandersetzungen geherrscht. Nun erreicht die Krise der kapitalistischen Wirtschaft auch Lateinamerika und ruft tiefe Umschwünge in der politischen Landschaft hervor, eine Neuausrichtung sowohl der Linken als auch der Rechten. Während die Regierungen in Brasilien, Chile und Argentinien, aber auch Morales in Bolivien mit inneren Spannungen und der wachsenden Ablehnung ihrer ehemaligen Wählerschaft konfrontiert sind, entstehen Embryos möglicher neuer Arbeiterparteien wie die Partido Socialismo e Liberdade (PSOL) in Brasilien, die Frente de Izquierda y de los Trabajadores (FIT) in Argentinien und die Partido de los Trabajadores in Bolivien.

von Conny Dahmen, Köln

Diese Entwicklungen waren auch Thema bei der Sommerschulung des Komitee für eine Arbeiterinternationale, wo Dimitri, Lehrergewerkschafter und Mitglied von Luta Socialismo Revolucionario (LSR) aus Brasilien einen Überblick über die spannenden Entwicklungen im Bewusstsein der Gesellschaft und der Bewegung in Brasilien gab.

Brasilien

Die sozialen Widersprüche in der größten Wirtschaftsmacht des Subkontinents haben einen Prozess von Klassenkämpfen in Gang gesetzt, der in den Massenprotesten im Juni 2013 seinen bisherigen Höhepunkt fand. Massive staatliche Repressionen ließen die Demonstrationen, die von lokalen Fahrpreiserhöhungen ausgelöst worden waren, mit bis zu zwei Millionen zur größten Protestbewegung seit 20 Jahren anwachsen. Auch wenn die Aktionen in diesem Jahr und während der WM wesentlich kleiner waren, so hat die Junibewegung in der brasilianischen Gesellschaft die Idee verankert, dass kämpfen sich lohnt. Mit immer neue Streikwellen nimmt die Arbeiterklasse die Bühne dieser Klassenkämpfe immer mehr für sich ein. Nur einige Beispiele sind der beeindruckende Streik im Bildungswesen in Rio im Herbst 2013, wo GewerkschaftsaktivistInnen von LSR eine wichtige Rolle spielten, und der Streik der Straßenreiniger im Karneval 2014 in Rio de Janeiro. Letzterer ermutigte die MetrofahrerInnen in Sao Paulo, trotz der Repressionen der Regierung und der Blockade der Gewerkschaftsführung ihren Streik zur WM durchzuziehen.

Auch die sozialen Bewegungen setzen die Regierung Dilma Rousseff unter Druck. In den letzten sechs Monaten gab es mehr Landbesetzungen als in den vergangenen fünf Jahren, im Juni konnte die MTST (Bewegung obdachloser ArbeiterInnen, mit der LSR eng zusammenarbeitet) durch ihre Besetzung nahe des WM-Stadions in Sao Paulo die Regierung zu Zugeständnissen zwingen. Nach der WM gehen diese und andere Proteste weiter. Wie schon letztes Jahr bauen die AktivstInnen von LSR die Bewegung mit auf und setzen sich dort für ein klares Programm und einen klaren Aktionsplan ein, wobei sie besonders den Vorschlag eines eintägigen Generalstreiks nach vorne stellen. Als Teil der P-SOL tritt LSR für eine klare sozialistische Postion und eine an den Bewegungen orientierte Politik der Partei ein, zum Teil mit eigenen KandidatInnen zu den Parlaments- und Regionalwahlen im Oktober. Trotz sinkender Sympathiewerte von zurzeit unter 30% wird Dilma Rousseffs PT den Sieg vermutlich wieder davontragen. Allerdings bieten sich für die Linke große Möglichkeiten. Wenn die P-SOL auch unter einer teils autoritären bürokratischen Führung wenig Lehren aus den Juniprotesten im letzten Jahr gezogen hat, und weit von einer Massenarbeiterpartei entfernt ist, so kann sie dennoch mit der sozialistischen Präsidentschaftskandidatin Luciana Genro einen Attraktionspol für große radikalisierte Schichten bilden.

Argentinien

In Argentinien profitiert die Linke bereits vom Niedergang der Ära Kirchner: Bei den Parlamentswahlen im letzten Herbst konnte das Wahlbündnis „Linke Front der Arbeiter“ FIT aus den drei trotzkistischen Organisationen Arbeiterpartei (PO), Sozialistische Arbeiterpartei (PTS) und Sozialistische Linke (IS) das beeindruckende Ergebnis von 1,2 Millionen Stimmen und damit drei Parlaments- und sieben Landtagsabgeordneten erreichen. Hintergrund dessen ist der soziale und ökonomische Zusammenbruch, der dem Land droht, zumal nun per Gerichtsbeschluss die Rückzahlung von Altschulden von über zehn Jahren ansteht. Die Wirtschaft wird nicht um mehr als 1,5% in diesem Jahr wachsen, die Inflation dagegen steigt um 30% im Jahr. In Argentinien, dessen Lebensstandard Ende des letzten Jahrhunderts noch mit westeuropäischen Ländern vergleichbar war, leben ca. 25% der Bevölkerung leben heute unter der Armutsgrenze, eine Million sind ohne Stromanschluss. Mit neuen Kürzungspaketen wenden sich immer mehr ArbeiterInnen und mittlerweile auch Gewerkschaften von der Kirchner-Regierung ab, im letzten Jahr kam es zu verschiedenen Klassenauseinandersetzungen. Gleichzeitig führten die Spaltungen innerhalb der Peronistischen Partei dazu, dass bei der nächsten Präsidentschaftswahl zwischen 5-7 peronistische KandidatInnen antreten werden. Dort könnte die FIT weitere Abgeordnete gewinnen, leider sind ihre Kräfte jedoch bisher nicht bereit, den nächsten Schritt hin zur Bildung einer wirklichen Partei als Interessenvertretung der ArbeiterInnen und Jugend zu gehen.

Bolivien

Der bolivianische Gewerkschaftsdachverband COB dagegen rief bereits im letzten Jahr die Arbeiterpartei PT ins Leben, um die Lücke zu füllen, welche Morales auf der Linken hinterlässt. Seine Regierung geht weiter und weiter nach rechts, führt Privatisierungen durch und verhandelt mit den Multis, und verliert dadurch immer mehr an Unterstützung in der Arbeiterklasse. Bisher funktioniert die PT als Partei jedoch in keinster Weise und fordert die Regierungspartei MAS auch nicht mit eigenen KandidatInnen bei den nächsten Wahlen auf, was ihren Sieg noch sicherer macht.

Kuba

Nördlich des Äquators steht die Verteidigung der Errungenschaften auf der Tagesordnung, welche die revolutionären Bewegungen dort erkämpfen konnten.

In Kuba, wo die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auch nicht ausbleiben, beschneidet das Regime unter Rául Castro von Jahr zu Jahr die Errungenschaften der kubanischen Revolution weiter und schnürt derzeit neue Kürzungspakete bei Bildung und Gesundheit. Die starken staatlichen Repressionsmaßnahmen machen es linken Gruppen, von denen einige auch im Kontakt mit dem CWI stehen, jedoch sehr schwer, eine linke Opposition zu organisieren.

Venezuela

In Venezuela hat der Tod Chávez` zweifellos die Rechte gestärkt, welche die Maduro- Regierung nicht nur auf der Wahlebene, sondern auch auf der Straße herausfordert. Dabei stützt sich die Opposition aber vorwiegend auf die Studentenschaft und die Mittelklasse. Der „Chávismo ohne Chávez“ hat sowohl mit großen ökonomischen Problemen, wie z.B. einer der höchsten Inflationsraten der Welt und massiver Kapitalflucht, zu kämpfen, als auch mit Spannungen innerhalb der Regierungspartei PSUV, wo sich ein Teil für Zugeständnisse an die Rechten ausspricht. Alle Verbesserungen, die unter Chávez erreicht wurden, könnten unter Maduro wieder verloren gehen, was nur der entschlossene Widerstand der Massen der ArbeiterInnen und Jugendlichen verhindern kann. Gemeinsam mit anderen linken Kräften organisiert Socialismo Revolucionario (CWI Venezuela) eine revolutionären Block, um diesen Kampf zu führen, gegen die rechte Opposition, aber auch gegen die Bürokratisierung und Konterrevolution unter dem Banner des Chávismo.