Ökolandbau im Kapitalismus und die marxistische Perspektive

Foto: https://www.flickr.com/photos/kwssaatag/ CC BY-NC-ND 2.0
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Wie lassen sich gesunde Lebensmittel für Alle produzieren?

von Kristof Sebastian Roloff, Göttingen

Die Menschheit hat ein Problem: Während die Weltbevölkerung unaufhaltsam weiter ansteigt, verschwinden weltweit immer mehr Ackerflächen zur Produktion von Grundnahrungsmitteln. Ein „Weiter so!“ kann es für unsere Zivilisation nicht geben, weil sie sonst dem sicheren Hungertod ins Auge blicken wird. Um das zu verhindern, muss nicht nur der nachhaltige Ökolandbau flächendeckend eingeführt werden. Auch unser auf den wirtschaftlichen Profit der Großbourgeoisie fokussiertes Wirtschaftssystem ist ein massives Hemmnis für die Entwicklung des Ökolandbaus und muss beseitigt werden.

Ursprung der kapitalistischen Landwirtschaft

Im frühkapitalistischen Zeitalter war im Nordeuropa die sogenannte Dreifelderwirtschaft eine weit verbreitete Variante der Landwirtschaft. Die bewirtschaftete Ackerfläche wurde in drei Teile bzw. Felder aufgeteilt: Das Sommeracker, das Winteracker und die Brache. Während auf den ersten beiden Feldern jeweils Sommer- und Wintergetreide gesät wurde, welches im Spätsommer erntereif war, so lag stets ein drittes Feld zur Erholung brach. Im Vergleich zu heutigen Erträgen war die Ausbeute schlecht und Hungersnöte waren niemals auszuschließen. Der deutsche Chemiker Justus von Liebig (1803–1873) entwickelte daraufhin die Agrochemie, in der er die Düngung des Bodens mit Mineralien zur maximalen Ertragssteigerung beschrieb. In Verbindung mit der aufsteigenden Phase des Kapitalismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts steigerte sich die landwirtschaftliche Produktivität um fast 100 %, womit das Kapital nicht nur in der Industrie seine Macht ausbreiten konnte. Dies war der Beginn der konventionellen Landwirtschaft, wie sie im heutigen Deutschland existiert. Im Zuge des Imperialismus wurde diese Form der Landwirtschaft auf die besetzten Kolonialländer ausgeweitet und trug zur Ausbeutung der dortigen Bevölkerung und zur Akkumulation des Wohlstands in den imperialistischen Ländern in noch nie dagewesenem Zustand bei.

Die ersten Gegenbewegungen

Nicht das stark exponentielle Wachstum war es, dass der neuen konventionellen Landwirtschaft den Unmut der ersten KritikerInnen – hierzulande aus dem süddeutschen Raum – bescherte. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts warnten einige Bauern: mit der direkten Wachstumsbeeinträchtigung der Pflanzen durch chemische Mittel würden automatisch neue Krankheiten entstehen, also ähnlich wie in der Medizin. Es würden allgemein neue Probleme auf die Landwirtschaft zukommen, auf die es keine Antworten gäbe. Damit entstand eine erste Gegenbewegung zur konventionellen Landwirtschaft, die deren kapitalistische Charakter zwar noch völlig ausblendete, aber die konventionelle Landwirtschaft zumindest isoliert kritisierte. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts, speziell in den 60er & 70er Jahren, formierte sich gegen die imperialistische Kriegstreiberei und den damit verbundenen Einsätzen von Chemie- & Nuklearwaffen eine weitere Bewegung aus unabhängigen SozialistInnen und alternativen Linken, die den Gedanken des Ökolandbaus verstärkt aufgriffen und deren zukünftige Bedeutung erkannte.

Zeitgleich gab es viele revolutionäre Bewegungen in Dritt- und Entwicklungsländern, bei denen radikale Bodenreformen nicht grundlos durchgeführt wurden – obwohl diese wegen der stalinistischen Bürokratie durchaus kritisch zu beäugen sind. Das Problem dieser Umstrukturierung der Landwirtschaft war, dass hier der kapitalistische Charakter zwar richtiger Weise gebrochen werden sollte (der Lebensstandard der LandwirtInnen in den Sowjetrepubliken war allg. höher als der in den kapitalistischen Ländern, was unter anderem an der viel stärkeren Integration der bäuerlichen Kreise in die Gesamtgesellschaft lag. Zudem gab es regelmäßige Lohnerhöhungen), aber die Einführung der nachhaltigen Landwirtschaft gänzlich ignoriert wurde. Es ging, ähnlich wie in der aufsteigenden Phase des Kapitalismus, um die Industrialisierung der Landwirtschaft zur Steigerung der Produktion und Prävention von Hungersnöten. Dies ist zunächst richtig, um den Lebensstandard der Bevölkerung massiv anzuheben und zu sichern. Wenn in einem wirtschaftlich rückständigen Land eine sozialistische Umstrukturierung erfolgt, ist ein Wirtschaftswachstum im zweistelligen Prozentbereich sogar notwendig, solange die Verteilung des erwirtschafteten Reichtums dabei auf alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen erfolgt. Dies war in den Sowjetrepubliken und weiteren Ländern des Stalinismus der Fall. Die Nachhaltigkeit und insbesondere der Umweltschutz war jedoch katastrophal schlechter – teilweise gar nicht – organisiert als in den kapitalistischen Staaten, welche wiederum einen massiven Ausbeutungskurs gegen die arbeitende landwirtschaftliche Bevölkerung umsetzte.

Sofern man noch von Blöcken sprechen kann, befindet sich der Ökolandbau sowohl in den kapitalistischen als auch in den realsozialistischen Staaten auf gleichem Niveau, unabhängig davon, wie der jeweilige historische Verlauf war. Ebenso die industrielle Landwirtschaft ist im Kapitalismus und Realsozialismus gleichermaßen durchgesetzt. Interessant ist hingegen die Frage, welches der beiden Systeme die industrielle durch die ökologisch-nachhaltige Landwirtschaft dauerhaft ersetzen kann.

Der Status Quo der ökologischen Landwirtschaft

Der Kapitalismus, also das warenproduzierende System, ist eine auf Gewinnmaximierung immanent ausgelegte Wirtschafts- & Gesellschaftsform. Um wirtschaftlich zu überleben, muss der Mensch seine Arbeitskraft verkaufen (Marxismus: Warencharakter der Arbeit). Hierbei hat derjenige, der die Arbeitskraft verkauft (ArbeiterInnen, Angestellte usw.) i.d.R. weniger Nutzen davon als derjenige, der die Arbeitskraft kauft (KapitalistIn). Das gilt in der Landwirtschaft nicht anders als in der Industrie.

Wie in allen anderen Wirtschaftsbranchen führt diese Wirklichkeit auch in der ökologischen Landwirtschaft zwangsläufig zu stets sich selbst reproduzierenden Widersprüchen. Auf der einen Seite existiert das völlig richtige Bedürfnis nach qualitativ hochwertigen Lebensmitteln, nach Ausbau sozialer Mindeststandards insbesondere für Produzenten aus Drittweltstaaten und einer sich verbunden fühlenden Gemeinschaft der Ökolandbauern. Auf der anderen Seite werden diese Prinzipien gerade durch den permanenten Konkurrenzkampf mit anderen MarktteilnehmerInnen immer wieder ausgehöhlt – ob es sich dabei um industrielle oder ökologische MarktteilnehmerInnen handelt, ist irrelevant, weil der Nutzwert des jeweiligen Endprodukts identisch ist. Dadurch wird der Frage nach wirtschaftlicher Effizienz stets eine höhere Bedeutung zukommen als den Fragen nach sozialer Gleichheit unter den Lohnabhängigen. De facto sind Ökolandbauern, so fortschrittlich sie auch denken, zur kapitalistischen Produktionsweise gezwungen, da ihr wirtschaftliches Überleben selbst vom Gesamtmarkt (also dem übergeordneten System) abhängig ist. Die derzeit noch fehlende Klassenfrage innerhalb der Ökobewegung stellt ein zusätzliches Hindernis für wirklich selbstverwaltende und unabhängige Strukturen in den Händen der Lohnabhängigen dar.

Genossenschaften und Kommunen sind in der Ökobranche gängige Formen um dem, nennen wir es mal, äußeren Einfluss des Kapitalismus zumindest betriebsintern zu dämpfen. Diese Organisationsformen können diesen Einfluss aber freilich nicht aushebeln. Solange sie Akteure am marktwirtschaftlichen Geschehen sind werden sie zwangsläufig nach den ökonomischen Spielregeln des Kapitalismus handeln müssen, um am „freien Markt“ überleben zu können. Gegen eine übergeordnete Wirtschaftsform helfen jedoch keine individuellen Verwaltungskonstrukte, sondern nur kollektive Organisation der in der Landwirtschaft Beschäftigten und dem Bruch mit der neoliberalen Hegemonie. Auf der parteipolitischen Landkarte steht daher fest: mit einem systemüberwindenden Anspruch wie ihn DIE LINKE hat – und sei er begrenzt – positioniert sie sich durchaus als grünere Partei gegenüber den GRÜNEN.

Das Bürgertum sucht inzwischen selbst nach alternativen Formen der Nahrungsmittelgewinnung. Das sogenannte „Urban Gardening“ ist eine selbstorganisierte Art des Obst- & Gemüseanbaus, der in städtischen Wohngebieten praktiziert und als allgemein anerkannte Alternative angesehen wird. Megacitys wie Bejing produzieren 40 Prozent ihres Gemüse-Bedarfs durch Urban Gardening. Während dieser Weg in den Entwicklungsländern bzw. von der arbeitenden Klasse vorrangig aus unmittelbar vorhandener Nahrungsmittelknappheit heraus praktiziert wird, hat dies für die Bourgeoisie überwiegend als „hip“ geltende Beweggründe – vom Mainstream möchte man sich freilich abgrenzen. Grundsätzlich sind Tendenzen, große Monokulturen zu umgehen und in kleineren eigenständig verwalteten Einheiten zu produzieren, begrüßenswert. Auf die tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse kann dies jedoch keine Antwort sein – denn auch hier wird das Kapital Wege zum Arrangement finden, beispielsweise durch Saatgutverordnungen der Bürokratie und Monopole, bei denen die ProduzentInnen stets neues Saatgut beziehen müssen.

Zudem führte die Behauptung der Herrschenden, die EndverbraucherInnen würden für die massive Lebensmittelverschwendung verantwortlich sein, zum Umdenken innerhalb der Bevölkerung aus Gewissensgründen. Das ist eine Lüge. Fakt ist, dass durch unzählige Lebensmittelnormen zur Erreichung eines einheitlichen Lebensmittelstandards jedes Jahr Millionen Tonnen Nahrung vernichtet werden, bevor sie überhaupt die Supermärkte erreichen. Wir erinnern uns an die EU-Norm zur Festlegung der maximalen Länge & Krümmung von Gurken und anderen Perversitäten. Selbst gestandene Bürokraten haben die Sinnlosigkeit dieser Norm – ausnahmsweise – erkannt und sie wieder zurückgenommen. Ziel ist es, der Bevölkerung einzureden, dass sie für die globale Lebensmittelverschwendung und Überproduktion verantwortlich sei. Fakt ist, dass nur ein geringer Bruchteil der Lebensmittel tatsächlich in Privathaushalten entsorgt wird – schließlich hat die arbeitende Bevölkerung Geld für die Nahrung ausgegeben, welches sie faktisch nicht zum Fenster herausschmeißen wollen und können. Der Kapitalismus erweist sich unfähig, die eigentliche Verschwendung bei der Lebensmittelproduktion zu umgehen – wieso auch? Letztlich gibt es kein Interesse an Produktionsverhältnissen, bei denen aus reinen optischen Mängeln bereits ca. 30 Prozent der Nahrung im Müll landen, irgendetwas zu verändern, solange die Profitrate zufriedenstellend ist.

Dass sich die Herrschenden der drastischen Verschlechterung der Bedingungen des zukünftigen Lebensmittelanbaus – also Übersäuerung & Überbeanspruchung fruchtbarer Böden, was letztlich nur sie selbst zu verantworten haben – bewusst sind und de facto wissen, dass es ein „Weiter so!“ auch garnicht geben kann (ohne dies öffentlich einzugestehen), beweist die Entwicklung der erhöhten Börsenspekulation und des Handelns mit unbearbeiteten Ackerflächen in Entwicklungsländern. Sie wissen, dass bei steigenden Bevölkerungszahlen und stets rückgängiger fruchtbarer Ackerböden das Unwetter irgendwann hereinbrechen muss. Darum sichern sie sich bereits jetzt Ackerflächen um für globale Hungersnöte selbst gewappnet zu sein. Sollte es zu so einem Szenario kommen, indem es sprichwörtlich um den letzten Grashalm ginge, würde die Bourgeoisie ihre privaten Ackerflächen mit sämtlicher militärischer Gewalt gegen die 99 Prozent verteidigen.

Voran zur sozialistischen Umstrukturierung

Fast nirgendwo werden die Klassengegensätze so deutlich wie hier. Mit Verhältnissen, in denen Landwirte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von teilweise über 70 Stunden bei einem Einkommen auf Mindestlohnniveau die kostspieligen ökologischen Erzeugnisse herstellen, die sich gemeinhin nur die gutbetuchte Bourgeoisie dauerhaft leisten kann, um sich selbst nur mit billiger Massenware niederster Qualität versorgen zu können, muss radikal gebrochen werden. Dazu bedarf es einer massenhaften Organisierung der in der Öko-Szene beschäftigten Lohnabhängigen, die die Ernährung in den unterschiedlichen sozialen Schichten zu einer grundsätzlichen Klassenfrage gestaltet und ihre Lösungen auf Grundlage ebendieser entwickelt. Für den Arbeitskampf in den bäuerlichen Strukturen müssen neue Perspektiven geschaffen werden. Gewerkschaftliche Organisation wäre ein wichtiger Schritt für überregionalen Widerstand gegen große Lebensmittelkonzerne und der kapitalistischen Ausbeute. Diese dürfte sich nicht auf den nationalen Rahmen der Bundesrepublik Deutschland beschränken, da die großen Lebensmittelspekulanten und -Kapitalisten selbst global agieren. Deren Augenmerk liegt zwar noch auf der sehr viel gewinnintensivierteren konventionellen Landwirtschaft, doch wird sich das Kapital neue Möglichkeiten des Marktes immer unter den Nagel reißen. Das beträfe also auch die ökologische Landwirtschaft, sobald sie zu nennenswertem gesamtwirtschaftlichem Einfluss käme – derzeit liegt der weltweite Anteil der ökologisch bewirtschafteten Felder im Vergleich zur Gesamtackerfläche bei ca. 0,8 Prozent.

Des Weiteren ist ein klares Programm zur Überwindung der derzeitigen Eigentumsverhältnisse notwendig. Nur wenn alle Entscheidungskompetenzen bei den ArbeiterInnen liegen, die letztlich die eigentlichen ProduzentInnen sind, können flächendeckende Umstrukturierungen verwirklicht werden und das Konkurrenzsystem überwunden werden. Dieses beweist letztlich, dass es bei kapitalistischer Produktionsweise nicht um gute ökologische Erzeugnisse selbst, sondern um den wirtschaftlichen Wettbewerb und Erfolg mithilfe von ökologischen Erzeugnissen gehen muss.

So wie der internationale Sozialismus einst den Kapitalismus ersetzen wird, so muss auch die konventionelle Landwirtschaft der geplanten ökologischen Landwirtschaft weichen. Sobald die ArbeiterInnen die Gewalt über die Produktionsmittel innehaben können sehr viel effektivere Generalstreiks durchgeführt werden. Ein Generalstreik der Lebensmittelproduktion würde zweifelsfrei nicht lange unkommentiert bleiben. Sobald das Kapital um seine Macht fürchten muss (und das Bürgertum um sein Futter), würde sämtliche Energie in konterrevolutionäre Reaktionen geleitet. Weil aber die Lebensmittel nicht von den Kapitalisten selbst, sondern von den ArbeiterInnen produziert werden, würden letztlich die ArbeiterInnen siegen. Für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft ist also eine ökologische Landwirtschaft unter Kontrolle der Lohnabhängigen immanent erforderlich. Nicht nur, um soziale Mindeststandards in der Landwirtschaft ausbauen und sichern zu können, sondern auch um die Nahrungsmittelproduktion als Druckmittel gegen die neoliberale Hegemonie und ihre Hauptakteure einsetzen zu können. Die Lebensmittelvorräte einer durchschnittlichen Stadt reichen für knapp 3 Tage. Man stelle sich nur das Szenario vor, in dem die ArbeiterInnen in der Lebensmittelproduktion einen flächendeckenden Generalstreik ausrufen würden. Diese Wirklichkeit zeigt, dass die eigentliche Macht nicht bei einer kleinen Anzahl von KapitalistInnen der Großkonzerne liegt, sondern bei Millionen von ArbeiterInnen, die für den Profit der Herrschenden ausgebeutet werden.