Wie soll linke Kommunalpolitik aussehen?

Zwischen Vision und Pragmatismus?

DIE LINKE beziehungsweise linke Listen stellen mehr als 6.000 Mandate in kommunalen Vertretungen. Im Februar 2012 wurde die Bundesarbeitsgemeinschaft Kommunalpolitik in der Linkspartei gegründet, um einen intensiveren Austausch unter diesen MandatsträgerInnen zu gewährleisten.

291 Personen sind derzeit mit Unterstützung der LINKEN in führende Verwaltungsfunktionen gewählt worden. Darunter sind fünf LandrätInnen, sieben OberbürgermeisterInnen, 47 hauptamtliche und 69 ehrenamtliche BürgermeisterInnen.

Auf ihrer Homepage schreibt die Partei zur Kommunalpolitik: „Die vielen tausend ehren- und hauptamtlichen kommunalen Mandatsträgerinnen und -träger der Partei DIE LINKE in Ost und West stehen täglich vor der Herausforderung, linke Politik in die kommunale Praxis umzusetzen. Dabei wird ihnen viel abverlangt: In Zeiten von Hartz IV und angesichts gähnender Leere in den kommunalen Kassen suchen sie zwischen Vision und Pragmatismus den besten Weg, um die berechtigten Ansprüche ihrer Wählerinnen und Wähler einzulösen.“ 

Die Gemeinden schulden privaten Gläubigern insgesamt 129,6 Milliarden Euro. Binnen eines Jahres schwoll die Verschuldung um 4,9 Prozent an. Während die Gewerbesteuer in vielen Kommunen wiederholt gesenkt wurde, verdienen sich die Banken auch an der Kreditaufnahme von Städten, Ländern und dem Bund eine goldene Nase

Das Dilemma als Chance verstehen!

Tomás Marcelo Santillán, Fraktionsvorsitzender der LINKS-FRAKTION im Rat der Stadt Bergisch Gladbach

Was unterscheidet linke Kommunalpolitik von linker Politik? Eigentlich nichts. Linke Politik vor Ort greift immer die Lebensverhältnisse der Menschen auf. Der alte Spruch hört sich zwar platt an, aber er gilt noch immer: „Global denken, lokal handeln!“ Kommunalpolitik ist damit eigentlich nichts Neues und man muss sich wundern, dass DIE LINKE sich vielerorts so schwer mit diesem Arbeitsfeld tut.

Die meisten Kommunalfraktionen, Gruppen und einzelne MandatsträgerInnen verstehen sich als Teil von linker Politik, wollen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern und betreiben aktions- und bündnisorientierte Politik. Sie orientieren sich an der Politik des jeweiligen Kreisverbands, sie arbeiten mit Bürgerinitiativen und außerparlamentarischen Gruppen eng zusammen und bringen deren Positionen in die Parlamente ein. Ohne diese Verankerung wäre ihre Arbeit kaum vorstellbar.

Leider hat sich die Parteibasis in manchen Orten von ihren MandatsträgerInnen entfremdet. Statt sie stärker in die Debatte der Partei zu integrieren, um sie als eine Möglichkeit für politische Arbeit einzusetzen, werden viele Mandatsträger abgekanzelt oder diffamiert. Dies ist wohl auch einer der Gründe, dass DIE LINKE in NRW schon ein Drittel ihrer Kommunalmandate verloren hat.

Oft sind die MandatsträgerInnen die Aktivposten vor Ort, an anderer Stelle entfernen sie sich von wichtigen Grundsatzpositionen. Vielerorts haben einige Parteimitglieder Vorbehalte gegen Mandate, denn die Inhaber bekommen eine Aufwandsentschädigung und können für fünf Jahre nicht abgewählt werden. Kommunale MandatsträgerInnen sind für viele schon von vornherein der innerparteiliche Gegner, der nur an „linke Realpolitik“ denkt und sich auf „Kompromisse mit dem Klassenfeind“ in den Parlamenten einlässt. Man kann diese Angst gut verstehen, denn genau diesen Vorgang kann man nahezu täglich in der SPD und bei den Grünen beobachten.

Und tatsächlich neigen die MandatsträgerInnen zu Pragmatismus und weniger zu grundsätzlichen Positionen. Zu einer erfolgreichen linken Kommunalpolitik gehören immer mehrere Ansichten. Es ist eben nicht nur die Politik auf der Straße, sondern auch die Arbeit in den Parlamenten, die die Lebensverhältnisse vor Ort verbessern kann. DIE LINKE sollte ihre Kommunalfraktionen und -gruppen als eine Chance nutzen, um ihre Forderungen umzusetzen oder bekannt zu machen. Sie müssen ihre Arbeit eng mit der Partei und Bürgerinitiativen verzahnen und dürfen dabei ihre Grundsätze nicht aus den Augen verlieren. Dabei wird es auch Kompromisse geben, aber am Ende zählt, was in Anbetracht der großen und unsozialen Übermacht der anderen Parteien für die Menschen unten herauskommt und was linke Politik erreichen kann. Wenn es linker Kommunalpolitik gelingt, die Dinge zu bewegen, dann ist sie auf dem richtigen Weg. Das erwarten die Menschen, die sie in die Räte und Kreistage gewählt haben. Sie erwarten politische Opposition, aber sie wollen auch, dass DIE LINKE ihre Interessen vertritt und Veränderungen, wenn sie möglich sind, durchsetzt. Dabei darf sie ihre programmatischen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Auch kleine Erfolge sind wichtig.

Hilfreich für eine linke Kommunalpolitik ist eine gesunde Ausgewogenheit zwischen außerparlamentarischer Bewegung und Parlamentarismus, wobei der Parlamentarismus schon strukturell und sinnbildend für eine Partei bleibt. Schließlich sind Wahlen eine der zentralen Aufgabenstellungen der Parteien. DIE LINKE sollte ihre Arbeit in Parlamenten nicht als Teufelszeug verdammen und sich auf eine gesunde Doppelstrategie einlassen. Andernfalls reibt sie ihre Kräfte in parteiinternen Streitigkeiten auf. Besonders in der Kommunalpolitik ist diese Doppelstrategie wichtig.

Auf dem Land existieren oft nur kleine außerparlamentarische Bewegungen, welche ohne linke MandatsträgerInnen kein Gehör bekommen können. Vielleicht ist dies das Dilemma, aber vielleicht ist es eben auch eine Chance. Wenn DIE LINKE erfolgreich Politik machen will und diese in die Parlamente tragen möchte, dann nicht nur in den Großstädten. DIE LINKE kann die Wahlen heute zwar nicht auf dem Land gewinnen, aber insgesamt werden Landtags- und Bundestagswahlen ohne eine solide ländliche Verankerung genau dort verloren gehen. Hier spielt die Kommunalpolitik eine wichtige Rolle.

DIE LINKE benötigt eine breite Vernetzung der kommunalpolitisch Interessierten, welche ganz besonders auch die vielen Einzelkämpfer und Bürgerinitiativen in der Fläche in die Arbeit der Partei einbindet. Dazu müssen „dicke Bretter“ gebohrt werden, aber es zahlt sich aus.

Kommunalpolitik trifft die Menschen vor Ort und hier können soziale Projekte den Menschen ganz direkt verdeutlichen, was linke Politik will. DIE LINKE muss dazu beitragen, die Lebensverhältnisse der Menschen vor Ort unmittelbar und spürbar zu verändern. Näher an der Basis geht es nicht mehr.

Kapitalistische „Sachzwänge“ – nicht mit uns!

Claus Ludwig, Mitglied im Rat der Stadt Köln, Fraktion DIE LINKE, und im Bundesvorstand der SAV

DIE LINKE kämpft für ein selbstbestimmtes Leben. Deshalb sollte ein Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit in der Kommune liegen. Linke LINKE sollten dabei nicht den Fehler machen, die Arbeit in den Gemeindevertretungen als unwichtig einzuschätzen und Ratspolitik der Basisarbeit gegenüberzustellen. Wie auf Bundesebene so gilt auch vor Ort: Die Wahrnehmung einer politischen Kraft gelingt oftmals nur dank parlamentarischer Vertretung beziehungsweise Wahlkämpfen. Die Arbeit im Stadtrat (Bezirksvertretungen) ist kein Widerspruch zur außerparlamentarischen Mobilisierung in der Kommune, sondern ist – ausreichende Kräfte und richtige Umsetzung vorausgesetzt – die entscheidende Ergänzung dazu.

Wenn so manche linke „PragmatikerInnen“ von Kommunalpolitik sprechen, beziehen sie sich oft nur auf den Stadtrat, die Ausschüsse, die anderen Parteien, Institutionen, institutionalisiert-bürokratisierte ehemalige Initiativen. Kommunalpolitik im umfassenden Sinne verstanden ist Politik in der Kommune. Ein Teil davon ist die Arbeit in Stadtrat und Bezirksvertretungen. Der bedeutendere Teil ist die Arbeit in Stadtteil, Schule und Uni, Betrieb und Gewerkschaft sowie sozialen Bewegungen. Der übergeordnete Aspekt und Maßstab des Erfolgs sind Fortschritte in Verankerung, Kampagnen- und Mobilisierungsfähigkeit, um gesellschaftlichen Druck zu entfalten.

Auch in der Kommunalpolitik gilt es, Menschen für den Kampf gegen den Kapitalismus zu mobilisieren und zu organisieren, die Systemfrage aufzuwerfen. Linke, sozialistische Kommunalpolitik muss bewegungs- und basisorientierte, kämpferische, organisierende und mobilisierende Politik im kommunalen Rahmen sein.

Wie passt linke Ratsarbeit in dieses Verständnis? Dazu ein paar Thesen:

1.) Wir sind anders

Wir müssen zu jeder Zeit eine klare Trennungslinie zwischen den bürgerlichen Parteien und uns ziehen. Unsere MandatsträgerInnen wollen von den anderen Parteien nicht „geliebt“ oder „anerkannt“ werden. Wir müssen zeigen: Wir gehören nicht zum Politikbetrieb der etablierten Parteien dazu und wollen das auch gar nicht. Wir sind anders als die anderen. Übrigens: Respekt erntet nicht, wer sich anpasst, sondern wer Rückgrat zeigt und mobilisierungsfähig ist.

2.) Wir sind Opposition

Im Stadtrat gibt es formal keine Regierung und damit auch keine Regierungsbeteiligung; aber faktisch funktioniert es trotzdem in Form von Dauer-Kooperationen. Solange es keinen grundlegenden Politikwechsel gibt, gilt daher auch hier: Wir müssen die Oppositionsrolle einnehmen. In Einzelfällen stimmen wir für korrekte Vorschläge und Anträge der Verwaltung und anderer Parteien. (Wir sind natürlich auch für die Anschaffung von neuen Feuerwehrautos). Dabei sollte übrigens völlig egal sein, ob ein positiver Vorschlag von der SPD oder CDU kommt. Aber wir machen keine Dauer-Tolerierung, wir übernehmen keine Mitverantwortung fürs „Regieren“, für den Haushalt, für die Wahl von DezernentInnen.

3.) Wir exekutieren keine „Sachzwänge“, sondern zeigen Alternativen auf

In den Kommunen werden oft „Sachzwänge“ exekutiert, die Kommunen können sich nicht selbst aus dem Sumpf ziehen. Dies ist auch die Wahrnehmung der meisten Menschen, was sich zum Beispiel in niedriger kommunaler Wahlbeteiligung niederschlägt. Die kommunale Ebene bekommt zu wenig Geld. Nach herrschender Argumentation kann sie also gar nichts anderes machen als zu kürzen. Die LINKE-Ratsfraktion Duisburg macht dabei mit, die knappen Gelder „sozial gerechter“ einzusetzen. Diese Falle müssen wir vermeiden und aufzeigen, wie und woher eine angemessene kommunale Finanzausstattung zu kommen hat.

In diesen Zusammenhang ist oft davon die Rede, dass unsere Arbeit auch einen konkreten Gebrauchswert haben und man daher Kompromisse eingehen müsse. Einverstanden. Ein vielleicht notwendiger Kompromiss könnte die Zustimmung zu nur zwei neuen Feuerwehrautos sein, obwohl eigentlich fünf nötig wären. Solange die Trippelschritte in die richtige Richtung gehen, sollten wir jede noch so bescheidene Verbesserung unterstützen. Das ist aber etwas anderes als eine Politik des geringeren Übels, also: dem Abbau von fünf Stellen bei der Feuerwehr zustimmen mit der Erklärung, das sei besser als zehn Stellen zu streichen. Denn dieser Schritt geht nach hinten, zu Lasten der betroffenen Menschen.

Für SozialistInnen gibt es als Sachzwang lediglich die Interessen der Menschen. Wir stimmen weder Kürzungen noch Verschlechterungen für die Masse der Bevölkerung zu.

4.) Wir setzen Ressourcen bewegungsorientiert ein

Der Einsatz von Ressourcen (MitarbeiterInnen, Gelder für Publikationen und so weiter) einer Fraktion sollte nicht auf den Rat konzentriert bleiben, sondern genutzt werden, um Selbstorganisation/Bewegungen aufzubauen. Die (selbstverständliche) Einhaltung von rechtlichen Vorschriften darf nicht dazu führen, dass die Fraktion samt MitarbeiterInnen sich in Gremien und Papierstapeln vergraben. Gremienarbeit sollte keine Energien verschwenden, sondern freisetzen.

Fazit: Kommunale Kampagnen können eine wichtige Rolle beim Aufbau sozialer Gegenmacht einer linken Partei spielen – vorausgesetzt, diese spielt eine Rolle dabei, Kämpfe anzustoßen und zu entwickeln, hat ein klares Programm und ordnet ihr Agieren im Rat, politisch und ressourcenmäßig, diesen Kampagnen unter.