Opposition!

Die LINKE.NRW fordert Verbesserungen am Grundsatzprogramm der Partei


 

Der Landesparteitag der NRW-Linken stand unter dem Motto „Opposition! Für soziale Gerechtigkeit!“. Diesem Motto wurde der Parteitag weitgehend gerecht. Der nordrhein-westfälische Landesverband positioniert sich deutlich auf dem linken Flügel der Bundespartei und schlägt eine Reihe von Verbesserungen für das neue Grundsatzprogramm vor. Gastredner Oskar Lafontaine gab sich kämpferisch.

von Claus Ludwig, Delegierter des KV Köln

Die LINKE.NRW wendet sich gegen den „zweiten Arbeitsmarkt“, den sogenannten „Öffentlichen Beschäftigungssektor“, wie ihn die mitregierenden LINKEN in Berlin und Brandenburg propagiere und fordert stattdessen die Schaffung tariflich bezahlter Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst.

Die NRW-LINKE will, dass sich die Partei auch bundesweit gegen sämtliche Auslands-Einsätze der Bundeswehr und der deutschen Polizei ausspricht und nicht nur gegen „Kampfeinsätze“. RednerInnen erinnerten daran, dass SPD und Grüne Anfang der 90er Jahre erst für sogenannte „humanitäre“ oder „Hilfseinsätze“ plädierten, um nach und nach die Auslandseinsätze der Bundeswehr durchzusetzen. Gefordert wird auch der Austritt Deutschlands aus der NATO. Im bisherigen Programmentwurf ist dieser Punkt so formuliert, dass man die NATO überwinden wolle, ein einseitiger Austritt ist nicht vorgesehen. So würde das Programm zahnlos bleiben, weil es keine wirkliche Stoßrichtung gegen das imperialistische Militärbündnis hätte.

„Rote Haltelinien“

Im analytischen Teil sollen die Passagen zur Klassengesellschaft klarer formuliert werden. Bisher ist dort nur von der herrschenden Klasse, den Kapitalisten, die Rede. Mit den Änderungsanträgen der NRW-Linken wird klargestellt, dass es mit der Arbeiterklasse einen Gegenpol gibt.

Der Landesparteitag spricht sich für die ursprüngliche Formulierung zu den „roten Haltelinien“ aus und nicht für die abgeschwächte Version, die in der aktuellen Version des Programmentwurfs zu finden ist. Dort möchte der rechte Flügel Hintertüren einbauen und Personalabbau im öffentlichen Dienst nicht ausschließen. Die NRW-LINKE. möchte keinen „Kompromiss“ an dieser Stelle, sondern stellt klarere Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung: „An einer Regierung, die Kriege führt und Einsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen vornimmt, Sozial- oder Arbeitsplatzabbau betreibt, werden wir uns nicht beteiligen.“

Würde dies ernst genommen, müsste die LINKE. in Berlin und Brandenburg sofort die Koalition verlassen und bräuchte in Mecklenburg-Vorpommern gar nicht erst Gespräche zur Regierungsbildung führen.

Die Programm-Passagen zu Faschismus und „Rechtspopulismus“ sollen auch durch Änderungen verbessert werden. Statt der Orientierung auf „antirassistische Bildungsarbeit“ soll das Programm die klare Zielsetzung enthalten, faschistische Aufmärsche zu verhindern. Im neu einzufügenden Abschnitt zum „Rechtspopulismus“ wird betont, dass die soziale Frage die Antwort auf die Rechte und die rassistische Spaltung ist: „Die linke Antwort auf die rechte Gefahr kann nur lauten: Aufklärung gegen rassistische Vorurteile sowie populäre und glaubwürdige Politik von links! Wir streiten für soziale Gerechtigkeit, gute Löhne, soziale Sicherheit und gleiche Chancen für alle … Linke Politik muss die wirklichen Verursacher und Profiteure der Probleme benennen …“

Über weite Strecken stimmten sowohl die im Landesvorstand (LaVo) dominierende „Antikapitalistische Linke“ (AKL) als auch die gemäßigte, in NRW als Minderheit im LaVo vertretene „Sozialistische Linke“ (SL) für die Änderungsanträge, nur eine Minderheit von „Realos“, die eine gewisse Nähe zu den in den Ost-Landesverbänden starken Mitregierungs-Befürwortern haben, stimmten gegen die Änderungen. Einzelne Abstimmungen gingen knapper aus, hier stimmten Teile der SL gegen einzelne Passagen zur Linksverschiebung im Programm.

Feministische Präambel scheitert zu Recht

Beim Antrag, dem Programm eine „Feministische Präambel“ voranzustellen, verliefen die Fronten anders. Dieser Antrag wurde von Teilen der linken LaVo-Mehrheit vorgestellt, u.a. durch die Landessprecherin Katharina Schwabedissen und den stellvertretenden Sprecher Thies Gleiss. Neben einem langen analytischen Teil, aus marxistischer Sicht teils interessant und wertvoll, teils dem Motto verpflichtet „dicht daneben ist auch vorbei“, wird in dieser „Präambel“ vor allem die Perspektive einer radikalen Arbeitszeitverkürzung vertreten.

Das an sich ist gut, aber leider wird die Notwendigkeit der Arbeitszeitverkürzung nicht ausreichend mit der Massenarbeitslosigkeit und der nötigen demokratischen Kontrolle über die Produktion verknüpft. Stattdessen wird fälschlicherweise behauptet, „Zeit“, sei die „Grundlage aller Herrschaft“ und unterstellt, der Kapitalismus könne durch für den Kampf für eine radikale Arbeitszeitverkürzung allein ausgehöhlt, geschwächt und überwunden werden. „Reformismus pur“ nannte dies der des Reformismus nicht gerade unverdächtige Bernhard Sander von der SL, absolut richtig, wenn man sich Sätze wie „dem Reich der Freiheit inmitten der gegebenen Verhältnisse zum Durchbruch zu verhelfen.“ auf der Zunge zergehen lässt.

Die vorliegende „Feministische Präambel“ würde keineswegs zur Klarheit des Programms beitragen, sondern einem teils widersprüchlichen Sammelsurium von Ideen weitere Widersprüche hinzufügen. Die seltsame Herleitung der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung und die Illusionen, damit allein systemsprengend wirken zu können, erinnern an die frühen Jusos in der SPD, welche von „systemüberwindenden Strukturreformen“ redeten. Der Antrag fand knapp keine Mehrheit, obwohl viele AKLer dafür stimmten. Neben der SL stimmten Teile der sich als revolutionär oder marxistisch verstehenden Linken dagegen, wie die SAV, die linksjugend.solid und DIDF.

Lafontaine fordert linkes Selbstbewusstsein ein

Oskar Lafontaine hielt eine für ihn typische Rede. Sie enthielt zwar keine fundierte sozialistische Analyse, aber er ging die Herrschenden in kämpferischer Manier an, verpasste der Parteirechten, welche immer nur über die Schwächen der eigenen Partei jammert und sich bei SPD und Grünen anbiedern will, en passant einige Nackenschläge und zeigte sein Talent, Inhalte verständlich und knackig rüberzubringen.

Zur Debatte um den Brief der Parteiführung an Fidel Castro meinte er trocken, Castro hätte die Insel von einer schlimmen Diktatur befreit, aber auch „Einiges auf dem Kerbholz“. Es wäre verlogen, wenn die CDU über diesen Brief jammern würde, immerhin unterstütze ihre Regierung das grausige Regime in Saudi-Arabien aktiv mit Waffenlieferungen.

Er hielt den pro-kapitalistischen Parteien, welche die LINKE. als undemokratisch diffamieren, entgegen: „Es gibt ein klares Testat, ob eine Partei demokratiefähig ist oder nicht:Wenn sie von der Energie- und Finanzwirtschaft gesponsort wird, ist sie es nicht. Wir bekommen als einzige Partei keine Gelder von diesen Konzernen.“

Lafontaine lästerte darüber, dass die Neoliberalen aller Parteien die Vergesellschaftung von Banken vor Jahren für unmöglich erklärt haben: „In der Krise mußten weltweit Banken verstaatlicht werden … alle Banken ab einer gewissen Größenordnung (haben) sich selbst bereits in dem Sinne verstaatlicht (…), daß sie so groß geworden sind, daß der Staat sie gar nicht mehr fallen lassen kann. Sie haben einen unfreiwilligen Eigentümer, der tritt immer an, wenn irgendwo verzockt oder verspekuliert wurde …. wir haben einen Sektor, der zumindest teilverstaatlicht ist nach dem Motto: Die Gewinne werden privatisiert, aber die Verluste werden sozialisiert. Und wir, Die Linke, sagen selbstbewußt: Wenn die Verluste sozialisiert werden, dann müssen auch die Gewinne sozialisiert werden! … Wir wollen eine durchgreifende öffentlich-rechtliche Organisation des Bankensektors.“

Geschickt manövrierte Lafontaine um die Frage der Euro-Bonds herum und vermied es, sich deren Unterstützung zu Eigen zu machen, wie es leider Gesine Lötzsch und Klaus Ernst getan hatten. Er verwies darauf, dass er vor Jahren selbst die Einführung von Euro-Bonds vorgeschlagen hatte, aber erklärte: „Mittlerweile sind die Euro-Bonds überholt, um das in aller Klarheit zu sagen. Euro-Bonds lösen das Problem nicht mehr … Wir wollen die Länder Europas von den Finanzmärkten abkoppeln, indem die Notenbanken über eine öffentlich-rechtliche Zwischenbank die Kredite direkt an diese Länder vergeben.“

Auch an dieser Stelle verzichtete Oskar Lafontaine auf ein umfassendes sozialistisches Programm, aber anders als so manche verzagt-pragmatische Parteifunktionäre der LINKE. deutet er radikale Alternativen und sozialistische Methoden zumindest an, z.B. bei der Kriegsfrage: „Hier an dieser Stelle wird dann klar, was Rosa Luxemburg mit dem Satz gemeint hat: Sozialismus oder Barbarei. Eine Wirtschaftsordnung, die auf die kriegerische Eroberung von Ölfeldern und Absatzmärkten ausgerichtet ist, ist und bleibt barbarisch.“

NRW-Leitantrag und Haushalt

Mit großer Mehrheit wurde der landespolitische Leitantrag „OPPOSITION gegen Sozialabbau und Niedriglöhne – Profiteure der Krise zur Kasse!“ beschlossen. Der Landesvorstand hatte ursprünglich einen inhaltlich nicht schlechten Antrag vorgelegt, dem aber sämtlliche konkreten Punkte fehlten. Ein besser strukturierter, aber politisch schwächerer Gegenentwurf aus den Reihen der SL wurdem dem entgegengestellt. Letztendlich wurden die beiden Anträge kombiniert und zu einem leidlich brauchbaren Papier zusammengefasst.

Die grundlegende Positionierung ist korrekt und deutlich: „muss DIE LINKE die soziale Frage und die Eigentumsfrage wieder ins Zentrum ihrer Politik rücken.“

Die NRW-Linken beziehen sich positiv auf auf den Widerstand gegen das Kaputtsparen in ganz Europa: „Eine ganze Generation junger Menschen steht ohne Perspektive da. Sie zahlen schon längst für die Krise! Aber sie leisten Widerstand: Demokratisch-emanzipatorische Protestbewegungen rufen zu Streiks, Besetzungen, Demonstrationen und solidarischer Organisation auf. Auch wir empören uns, wir unterstützen diese Bewegung!“

Die NRW-LINKE. grenzt sich mit dem beschlossenen Leitantrag klar von den bürgerlichen, etablierten Parteien ab: „DIE LINKE.NRW ist als klare antikapitalistische Opposition in den Landtag gewählt worden. Heute mehr den je brauchen wir eine klare Stimme und konsequente Opposition gegen die unsoziale Kürzungspolitik der anderen Parteien. DIE LINKE.NRW steht gegen die Unterordnung unter die von Banken und Konzernen diktierten Sachzwänge und gegen eine Gesamtpolitik, die für die Armen und politisch Machtlosen in der Gesellschaft nur Zynismus übrig hat!“

Im konkreten Teil wirkt der Beschluss jedoch unfertig. Es werden eine ganze Reihe sinnvoller Projekte und Forderungen benannt, z.B. die Kampagne für ein landesweites Sozialticket, aber unter dem Strich werden so viele Vorhaben aufgeführt, dass davon auszugehen ist, dass vieles nicht klappt, wenn man alles ein bisschen machen will. Dazu kommt, dass eine grundlgende Erkenntnis sich nicht wirklich durchgesetzt hat: Nicht wir, nicht die LINKE., nicht die sozialen Bewegungen suchen sich die Themen und Kampagnen aus. Das macht der Gegner, die herrschende Klasse, diese setzt durch ihre Angriffe und durch die Krisen ihres Systems die Themen. Ein zentrale Fähigkeit einer aktiven, kämpfenden linken Partei müsste es daher sein, schnell zu reagieren, wenn sich die Lage ändert. Die Partei müsste in der Lage sein, schnell zu diskutieren, die Basis und den Apparat umzuorientieren, sich auf einen zentralen Angriff der Herrschenden zu konzentrieren und den Widerstand dagegen aufzubauen. Diese Fähigkeit fehlt der LINKEN vor Ort und auch landesweit.

Die Themenpalette des Leitantrages wirkt zu sehr, als hätte man alle Forderungen und Interessen in der Partei bedienen wollen und hilft nicht dabei, die Partei konkret auf die kommenden stürmischen Auseinandersetzungen vorzubereiten.

Durch den Beschluss eines Antrages der Kreisverbände Köln und Düsseldorf wurde die Haltung zu den nächsten Beratungen des Landeshaushaltes in Nordrhein-Westfalen präzisiert. Es wird deutlich gemacht, dass die Stimmen der LINKE. nicht „billig“ zu haben sind und die Partei nicht als Mehrheitsbeschaffer fungieren will.

Es werden eindeutige Bedingungen formuliert, damit die LINKE. im Landtag sich enthält und damit den Haushalt passieren lässt, u.a. „kein Personalabbau, keine Privatisierung“, die Verwendung von Steuer-Mehreinnahmen für soziale Investitionen und nicht nur für den Schuldenabbau, die Einführung eines landesweiten Sozialtickets sowie mehr Gelder für die Kommunen.

Um einem Haushalt zustimmen zu können, hält die NRW-LINKE. einen grundlegend Politikwechsel für nötig: „Ein solcher Politikwechsel wäre unvereinbar mit dem Festhalten von SPD und Grünen an der sogenannten Schuldenbremse und nur im offenen Konflikt mit den Superreichen, Banken und Konzernen möglich.“

Wenn sich Partei und Fraktion an diesen Beschluss halten, gäbe es kein Hin- und Her wie beim Haushalt 2011, bei dem SPD und Grüne die LINKE., von den Medien tatkräftig unterstützt, teilweise vor sich her treiben konnten. Damit hat die LINKE. eine Linie, mit der sie von Beginn an offen agieren und klare Kante zeigen kann.

Besser als die Realität

Die Positionierung der NRW-Linken innerhalb der Partei, die Ankündigung, gegen den rot-grünen Haushalt 2012 zu stimmen, wenn es keine grundlegende Änderung der Politik der Kraft-Regierung gibt, all das ist aus marxistischer Sicht begrüßenswert. Die LINKE.NRW widersteht dem Anpassungsdruck von in- und außerhalb der Partei und formuliert einige Eckpfeiler antikapitalistischer Politik. Nach einer Reihe von sehr pragmatisch geprägten Diskussionen direkt nach der Landtagswahl 2010 ist das ein Lichtblick.

Allerdings wird die LINKE. auch in Nordrhein-Westfalen ihren Beschlüssen und Ansprüchen oft nicht gerecht. Viele Kreisverbände schwächeln, reiben sich im kommunal-parlamentarischen Alltag auf, Karrieristen und deren dummen Streitereien dominieren. Die Mobilisierung zu außerparlamentarischen Aktionen verläuft oft schleppend. Bei so manchen Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche ist außer der linksjugend.solid, dem SDS und einigen Funktionsträgern wenig zu sehen.

Die Partei ist in der Realität weit entfernt von sozialer Verankerung in Kämpfen und Bewegungen. Bei allen linken Parolen herrschen oft sozialdemokratische und damit demobilisierende, bürokratische Organisations- und Politikmethoden vor.

Beschlüsse wie auf dem Landesparteitag bieten die inhaltliche Grundlage, diese Schwächen anzugehen, aber sie müssen mit sozialistischer Praxis auf Landesebene und vor Ort umgesetzt werden.

Weitere Infos: http://www.dielinke-nrw.de/nc/partei/parteitag/parteitag_2011/