„Ein einziger Angriff würde ausreichen, die Kämpfe und Streiks

Marie-José Douet erörtert im Gespräch mit Marie Rosa die Lage in Frankreich
Die „Gauche plurielle“, die sozialdemokratische Regierung in Frankreich, wurde bei den letzen Parlamentswahlen im Juni abgewählt. Bei den Präsidentenwahlen waren mehr als eine Million gegen Le Pen auf der Straße. Heute und direkt nach der Wahl von Chirac ist der Kampf zurückgegangen, aber viele Kämpfe in verschiedenen Sektoren werden ab September erwartet.
Marie-José Douet, 55 Jahre alt, Mitglied der „Gauche révolutionnaire“, Schwesterorganisation der SAV in Frankreich, ist Grundschulelehrerin und Vorstandsmitglied der Grundschul- und Mittelstufengewerkschaft (SNUIPP) in Rouen.
 

Der Schock und die Wut nach dem ersten Wahlgang haben zu einer Massenbewegung geführt, die wir auch in Deutschland verfolgen konnten. Kannst du diese Bewegung beschreiben?

Am Abend, direkt nach dem Ergebnis des ersten Wahlganges, haben wir mit anderen Organisationen eine spontane Demo organisiert. Es waren schon Tausende von unorganisierten Menschen, die auch spontan reagiert haben.
Sonst wurde die Bewegung eigentlich von der Jugend direkt am nächsten Tag angestoßen, beson-ders in den Schulen und zum Teil in den Unis. In den Demos waren die Losungen gegen Le Pen gerichtet. Ich hatte den Eindruck, dass sie Angst vor Le Pen, aber auch im allgemeinen vor ihrer eigenen Zukunft hatten und es war ihnen klar, dass sie unbedingt kämpfen müssen.
Erst später, als die Bewegung unter Kontrolle einiger Organisationen geraten ist, wurden die Losungen auf eine Wahl gegen Le Pen, das heißt auf dem parlamentarischen Weg begrenzt, genau wie die etablierten Parteien und die Gewerkschaften es mit den Beschäftigten getan haben, da sie richtig Angst hatten, die Kontrolle über  die Bewegung zu verlieren.

Gleichzeitig mit der wachsenden Stimmenanzahl für Le Pen konnten wir aber auch eine drastisch steigende Stimmenabgabe für die radikale Linke sehen.

Elf Prozent haben die KandidatInnen der radikalen Linken (Lutte ouvrière/LO und Ligue Communiste Révolutionnaire/LCR) bekommen, was noch mal die Ablehnung der Politik der „Gauche plurielle“ aufzeigt.
Am Abend des ersten Wahlgangs setzte LO Chirac und Le Pen einfach gleich und rief ohne weitere Erklärung zum ungültig Wählen auf, was so gar nicht verstanden wurde.
Die LCR im Gegensatz zu LO war aktiv in den Demos gegen Le Pen. Nach einer Woche intensiver interner Diskussionen hat sie sich aber für einen Aufruf für Chirac entschieden und hat auch den Leuten die Illusion gegeben, dass eine Stimme für Chirac ein Bollwerk gegen Le Pen wäre.
Das Dramatische ist, dass LO und LCR so viel Einfluss bei der Gründung einer neuen Arbeiterpartei hätten haben können. Sie hätte die Leute organisiert, die sich wehren wollten gegen Le Pen und die Politik der „Gauche plurielle“, die zum größten Teil verantwortlich für Le Pens Wahlerfolg war. Wir haben ihnen einen offenen Brief in diesem Sinn und mit diesem Vorschlag geschickt – aber vergeblich.
 
Jetzt ist eine rechtskonservative Regierung neu gewählt worden. Was führt sie jetzt für eine Politik und wie stehen die ArbeiterInnen dazu?

Die erste Maßnahme direkt nach dem ersten Wahlgang der Parlamentswahlen richtete sich gegen die ArbeiterInnen der seit einem Monat besetzten Nudelfabrik Lustucru. Chirac und seine Polizei räumte sie mit großer Brutalität. Dazu kamen neue arbeiterfeindliche Gesetze, die zum Beispiel demokratische Rechte einschränken und die besonders gegen die Jugend und die Ausländer-Innen gerichtet sind.
Das Asylrecht wird erschwert, die Abschiebemaßnahmen vereinfacht und beschleunigt.
Das Gesetz zur 35-Stunden-Woche, das unter der Gauche Plurielle eingeführt wurde und unter den Beschäftigten schon sehr unpopulär war, wurde dank der neuen Regierung durch mehr Flexibilität und Senkung des Überstundenlohnes verschlimmert.
Was die Kämpfe betrifft, ist es so, dass in vielen Sektoren gestreikt wird, aber die Kämpfe bleiben isoliert.
Für September erwarten wir weitere Angriffe der Regierung. Zur Zeit ist die Regierung vorsichtig,  aber sie will die Rente und die Bildung bald angreifen. Auch wenn die Bewegung nach der Wahl Chiracs zurückgegangen ist, gibt es bei den Menschen, die wir treffen, den allgemeinen Eindruck, dass ein einziger Angriff ausreichen würde, die Kämpfe und Streiks wiederzubeleben.