Hartz-Papier: Frontalangriff auf Arbeitslose

Die F?hrung der Gewerkschaften unterst?tzt den Angriff auf die Rechte der Arbeitslosen und der Arbeitnehmer
Schr?der verlangt, die Hartz-Vorschl?ge d?rften nicht zerredet werden, es w?re das Gesamtkonzept, was z?hlt. Mit der gleichen Logik k?nnte man gleich jegliche politische Debatte einstellen, schlie?lich steht im „Gesamtkonzept“ Grundgesetz, die BRD sei ein „sozialer und demokratischer Rechtsstaat“, das ist doch sch?n, da braucht man? nur noch einen K?nig von Deutschland ernennen, der dann die Details regelt und „Basta“.
 
von Claus Ludwig, K?ln

Die Vorschl?ge der Hartz-Kommission braucht man nicht zerreden. Sowohl im Detail als auch in ihrer Gesamtheit stellen sie den gr??ten Angriff auf die Rechte und das Einkommen der Arbeitnehmer und Arbeitslosen seit dem Bestehen der Bundesrepublik dar.
Unter dem Vorwand der Bek?mpfung der Arbeitslosigkeit soll die Statistik der Arbeits?mter bereinigt werden. Arbeitslose werden in verschiedene Gruppen aufgeteilt, von denen einige nicht mehr als arbeitslos gelten sollen. Bez?ge sollen gesenkt, der Weg in die Sozialhilfe wird beschleunigt.

Die Arbeitsvermittlung wird praktisch privatisiert. ?ber die Zerlegung der Arbeitslosen in verschiedene Gruppen, Vermittlungspr?mien und „Outsourcen“ steigen die Arbeits?mter in die Konkurrenz mit privaten Vermittlern ein.

Ein Teil der Arbeitslosen soll in vom Arbeitsamt verwalteten Zeitarbeitsagenturen (PSA) besch?ftigt sein, aus denen sich Unternehmen flexibel bedienen k?nnen. Von den Besch?ftigten eingezahlte Anteile der Sozialversicherung werden verwendet, um Unternehmen dabei zu helfen, L?hne zu senken und bei der eigenen Personalabteilung zu sparen.

Damit werden die Arbeitslosen in verschiedene Gruppen gespalten. Die erste Gruppe sind die wie bisher ?ber die Arbeits?mter Vermittelten. Dies sind wahrscheinlich Ingenieure, Techniker, Facharbeiter und Angestellte, deren Vermittelbarkeit h?her ist und die Firmen ohnehin in ein Festarbeitsverh?ltnis ?bernehmen wollen. Die zweite Gruppe sind die PSAler, geringer qualifizierte oder weniger gesuchte Facharbeiter, ungelernte Arbeiter, Angestellte ohne Berufsabschluss, Akademiker ohne Abschluss. Eine dritte Gruppe setzt sich ?hnlichen Leuten wie die PSAler zusammen: die neuen Selbst?ndigen der „ICH-“ oder „Familien-AG“, die als Selbst?ndige Dienstleistungen anbieten k?nnen und sich durch die Kombination aus gering bezahlten Diensten und Teilzahlungen vom Arbeitsamt ?ber Wasser halten k?nnen. Der Rest, die „schwer Vermittelbaren“, werden schneller als bisher in die Sozialhilfe gedr?ngt und fallen aus der Statistik.

Jobs durch Billigl?hne?

Das Ziel ist, die Arbeitslosigkeit bis 2005 auf 2 Millionen zu halbieren. Es ist sicher, dass mit der Umsetzung der Vorschl?ge der Kommission die statistisch erfasste Arbeitslosigkeit sinken wird. Ein Teil der bisher arbeitslos Gemeldeten w?rde in der Scheinselbst?ndigkeit der „ICH-AG“ landen, ein Teil in der Scheinbesch?ftigung der PGA. Ein weiterer Teil w?re in die Soziahilfe abgedr?ngt, versch?rfte Zumutbarkeitsregelungen w?rden dazu f?hren, dass einige jeglichen Anspruch verlieren und so nicht mehr als arbeitssuchend gelten.

Die allgemeine Absenkung von Leistungen und damit auch von L?hnen und Geh?ltern – schlie?lich w?rde mehr billige Arbeitskr?fte auf den Markt dr?ngen – k?nnte in einigen Bereichen auch dazu f?hren, dass Arbeitspl?tze geschaffen w?rden, die es heute nicht gibt, weil niemand davon leben will und kann. Dass jetzt auch geplant ist, die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen einzuf?hren zeigt, welche Art von Jobs das w?ren.

Diese „Reduzierung von Arbeitslosigkeit“ hilft weder den Arbeitslosen noch den Besch?ftigten. Qualifizierte, gesicherte Arbeitsverh?ltnisse werden abgebaut. Menschen wollen arbeiten, um ein menschenw?rdiges Leben finanzieren zu k?nnen, um einen sinnvollen Beitrag zu leisten, um Selbstachtung zu haben. Mit den Ma?nahmen der Hartz-Kommission wird dies nicht gef?rdert, sondern bek?mpft. Nach der Umsetzung dieser Vorschl?ge wird es mehr unsichere Arbeitspl?tze und mehr Angst vor Arbeitslosigkeit geben.

Der Abbau ist auch keineswegs das Ziel von Regierung und Unternehmern, sondern nur Vorwand f?r die Flexibilisierung, „Amerikanisierung“ des Arbeitsmarktes, um die Angst vor der Arbeitslosigkeit zu nutzen, um die Konzerngewinne zu steigern.

Trotz der massiven F?lschung der Statistik ist es fraglich, ob dies im geplanten Ausma? Erfolg haben kann. Die Kommission hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht – die wirtschaftliche Entwicklung weltweit und in Deutschland. Der Welthandel ist noch nie so langsam gewachsen wie in den letzten 2 Jahren, die Industrieproduktion in Deutschland ist r?ckl?ufig. Neue Arbeitslosen-Rekorde noch in diesem Jahr sind wahrscheinlich.

Die Pleitenwelle h?lt an, Massenentlassungen wie im Bau und bei Babcock wird es weiterhin geben. Im ?ffentlichen Dienst und den privatisierten ehemaligen ?ffentlichen Betrieben wie der Telekom geht die Vernichtung von Arbeitspl?tzen weiter. Die gleichen Politiker, die von sich selbst wegen der Vorschl?ge zum „Abbau der Arbeitslosigkeit“ begeistert sind, sind die Hohepriester des Job-Killens im ?ffentlichen Dienst.

Trotz Absenkung der Einkommen, Statistik-Bereinigung und Einrichtung einer Regimes, welches Arbeitslose mit der Alternative „Nimm den Billig-Job oder du bekommst keinen Cent“ terrorisieren soll, kann es am Ende sein, dass die Arbeitslosigkeit? –? statistisch – lediglich gering sinkt.

Komplizen des Kapitals

Die Ergebnisse der Hartz-Kommission sind kein Skandal. Was soll man von Managern und Politikern, die sich als verl?ngerter Arm der Konzerne verstehen, erwarten? Skandal?s ist hingegen die Zustimmung nahezu aller Gewerkschaftsf?hrer zu den Vorschl?gen.

IG-Metall-Chef Zwickel phantasiert, es ginge der Kommission um „schnellere Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen“ und begr?ndet damit die grunds?tzliche Zustimmung der IGM. Von Qualifizierung ist ?berhaupt keine Rede im Papier, die Planungen lassen eher eine massive Einschr?nkung von Umschulungen und Weiterbildungen erwarten. ver.di spricht sich gegen Leistungsk?rzungen aus, warnt, „die Arbeitgeber k?nnten …“ … dies oder jenes zur Absenkung von L?hnen und zur Reduzierung von Stammbelegschaften nutzen. Sie k?nnten nicht nur, sie werden es, das war die Aufgabe der Kommission!

Die ver.di-Funktion?re sind nat?rlich nicht so d?mlich wie sie tun. Sie wollen, dass die Debatte um die Nebenaspekte des Papiers gef?hrt wird – wie die „schnellere Vermittlung“ – und nicht um die Kernfragen der Leistungsabsenkung und den versch?rften Zumutbarkeitsregelungen. Sie f?rchten eine „ideologisch gef?rbte Instrumentalisierung der Hartz-Kommission“ und die „Diskreditierung“ der Mitglieder der Kommission, weil sie eine klare Debatte f?rchten, wem die Vorschl?ge nutzen und schaden, weil sie den Widerstand in den eigenen Reihen f?rchten.

Die Gewerkschaften h?tten die Macht, die Hartz-Kommission zu stoppen. Wenn sie eine Aufkl?rungskampagne starten w?rden und Mitgliedern, Arbeitnehmern und Arbeitslosen die Konsequenzen der Pl?ne deutlich machen w?rden, w?rden Massenproteste die Pl?ne hinwegfegen. Die Komplizenschaft der Gewerkschaften verschafft Konzernen, Regierung und Opposition einen gr??eren Spielraum.

In den 80er Jahren f?hrte die IGM eine Kampagne zur Verk?rzung der Arbeitszeit. Sie erkl?rte, dass nur die Verteilung der Arbeit zur dauerhaften Bek?mpfung der Arbeitslosigkeit f?hren k?nne. Der IGM-Vorstand musste schon damals von der Basis zum Kampf gezwungen werden, packte die Sache zu z?gerlich an, aber ging immerhin in die richtige Richtung. Heute treten die Gewerkschaftsf?hrer die Ziele und Grunds?tze ihrer Organisationen mit F??en.

Es ist h?chste Zeit, dass sich kritische Aktivisten zusammenschlie?en und f?r einen Kurswechsel in den Gewerkschaften k?mpfen. Dazu brauchen sie die Unterst?tzung von Bewegungen wie die der Studierenden und der Globalisierungskritiker.

Die gr??te globalisierungskritische Organisation, ATTAC, sollte die Initiative f?r gemeinsame Proteste mit kritischen Gewerkschaftern, Arbeitslosen-Gruppen und Studierenden ergreifen, um in der ?ffentlichkeit gegen die Pl?ne der Hartz-Kommission zu mobilisieren.

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Die Vorschl?ge im Einzelnen:

Familienfreundliche Quick-Vermittlung
„Familienv?ter“ und Alleinerziehende soll eine besondere Priorit?t bei der Vermittlung einger?umt werden. Die Vermittlung dieser „Zielgruppe“ soll den Arbeitsvermittlern Bonuszahlungen einbringen. Im Klartext: wenn es weiter zu wenig Jobs gibt, werden Kinderlose benachteiligt. Dies steht im Zusammenhang mit den versch?rften „Zumutbarkeitsregelungen“ f?r Singles und vor allem j?ngere Arbeitslose.

?nderung der Meldefrist
Die sofortige Meldepflicht im Fall einer K?ndigung f?hrt keineswegs zu einem Abbau der Arbeitslosigkeit. Wenn alle das machen w?rden, w?rde das zu einem Anstieg des Verwaltungsaufwandes f?hren, denn dann w?rden auch die erfasst werden, die direkt im Anschluss eine neue Besch?ftigung finden und mit denen das Arbeitsamt normalerweise gar nichts zu tun h?tte. Immerhin kann dann behauptet werden, die Vermittlungsquote w?re angestiegen. Ein erw?nschter Nebeneffekt ist gewiss, dass sich einige nicht melden, sobald sie gek?ndigt werden, sei es aus Unkenntnis, sei es, weil sie hoffen, ohne das Arbeitsamt einen neuen Job zu finden oder die K?ndigung r?ckg?ngig machen zu k?nnen. Da k?nnen dann Leistungen eingespart werden, weil sich die Leute „nicht rechtzeitig“ gemeldet haben.

Der Zwang zur Jobsuche noch w?hrend der K?ndigungsfrist kann auch dazu f?hren, dass Arbeitnehmer auf Klagen gegen die K?ndigung verzichten. In den letzten Jahren sind die Klagen massiv angestiegen, viele wurden gewonnen, die K?ndigungen waren ungerechtfertigt. Unternehmen w?rde es eine Menge Geld sparen, wenn die Leute gleicht vom Arbeitsamt „?bernommen“ w?rden und die Verbindung zum alten Unternehmen schneller abrei?t.

Neue Zumutbarkeit und Freiwilligkeit
Die Beweislast, ob ein Job zumutbar ist oder nicht, wird umgekehrt und liegt beim Arbeitslosen. Es wird festgeschrieben, das Alleinstehenden mehr (also schlechtere Bedingungen) zugemutet werden kann als Familienv?tern.

Jugendliche Arbeitslose
Gefordert ist eine „hohe Mobilit?t“, die bundesweite Vermittlung auf offene Stellen. Dies f?hrt zu einer Versch?rfung der Abwanderung aus den strukturschwachen Regionen. Schon heute sind viele St?dte und Gemeinden im Osten so ?beraltert, dass sich kein Unternehmen mehr ansiedeln will, weil die Auswahl an Arbeitskr?ften zu klein ist. W?hrend in Halle ganze Stra?enz?ge leer stehen, h?lt der Zuzug in westdeutsche Metropolen an. Konkurrenz um Arbeitspl?tze und Wohnungen f?hrt zu Druck auf die L?hne und steigenden Mieten. Das Hartz-Papier ist ein Rezept f?r die Entv?lkerung vieler Regionen im Osten und Norden.

Personal-Service-Agentur
Diese wird von der Kommission als „Herzst?ck“ ihrer Vorschl?ge bezeichnet. Gemeint ist, dass Arbeits?mter eigene oder „outgesourcte“ Leiharbeitsagenturen gr?nden. Aus diesem Arbeitskr?ftepool k?nnen sich die Unternehmen bedienen. Sie k?nnen Mitarbeiter zum Beispiel f?r kostenloses Probearbeiten nutzen. Damit wird den Unternehmen aus ?ffentlichen Geldern (Steuern und Versicherungszahlungen der Besch?ftigten) eine flexible M?glichkeit finanziert, zu heuern und zu feuern. Jede/r Arbeitslose soll zwar das Angebot erhalten, in die PSA zu gehen, aber diese entscheidet, wen sie haben will.

Service f?r Kunden Arbeitgeber
Die Arbeitgeber sollen den Zugang zu den EDV-Systemen der Arbeits?mter bekommen. Sie haben dadurch die M?glichkeit, sich ihre Arbeitnehmer – noch st?rker als jetzt schon – auszuw?hlen und so m?gliche „St?rfaktoren“ wie ein ihnen nicht genehmer Lebenslauf schon vor der Bewerbungs- und Vorstellungsphase auszuschalten.

Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe
Dies ist ein Kernst?ck des Papiers. In den ersten 6 Monaten soll ein pauschales Arbeitslosengeld f?r alle gez?hlt werden. Wer glaubt, dies w?rde im Schnitt zu einer Erh?hung f?hren, glaubt definitiv an den Weihnachtsmann. Es ist eine allgemeine K?rzung vor allem f?r „Normalverdiener“. Der Spaltungseffekt k?nnte darin liegen, dass Geringverdiener eine leichte Steigerung erhalten. Die h?lt aber nicht lange vor. In den Monaten 7 bis 12 wird das normale ALG wie bisher bezahlt, dann ein vermindertes Arbeitslosengeld (soll der heutigen Arbeitslosenhilfe entsprechen), nach 2 Jahren ist endg?ltig Schluss, dann kommt das „Sozialgeld“ (heutige Sozialhilfe), egal wie lange vorher in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt wurde. ver.di schreibt im Kommentar zum Hartz-Papier, man w?re gegen Leistungsk?rzungen, sagt aber nicht, dass dies der Knackpunkt ist.

„Ich-AG“ oder „Familien-AG“
Damit soll eine neue M?glichkeit zur Selbst?ndigkeit geschaffen werden. Bis zu einem Einkommen von ca. 20.000 Euro soll dies mit lediglich 10 Prozent versteuert werden. Diese „Selbst?ndigen“ sollen sich durch ihre eigenen Eink?nfte oder mit einer Mischfinanzierung aus Teilzahlungen vom Arbeitsamt und Eink?nften aus ihrer „Unternehmert?tigkeit“ ?ber Wasser halten. Dabei geht es nicht um eine Existenzgr?ndung, sondern darum, sie aus der Statistik der zu Vermittelnden herauszudr?ngen und eine weitere Form von Billigarbeit (v.a. im Bereich der Haushaltshilfen) zu f?rdern. Angeblich soll dadurch die Schwarzarbeit zur?ckgedr?ngt werden, doch gerade die Mischfinanzierung wird ein Anreiz zur Schwarzarbeit bleiben. Au?erdem wird die Konkurrenz versch?rft, so dass regul?re Jobs mit hohen Sozialabgaben noch unattraktiver werden und f?r die Firmen ein weiterer Anreiz besteht, mit illegaler Arbeit oder legaler Scheinselbst?ndigkeit wie der „Ich-AG“ zu arbeiten.

„Bridgesystem“ f?r ?ltere Arbeitnehmer
Die Zeit bis zur Fr?hverrentung mit 60 Jahren soll „?berbr?ckt“ werden, die Verf?gbarkeit f?r den Arbeitsmarkt soll entfallen. Im Klartext: Arbeitslose ab 55 (bisher: ab 58) sollen aus der Statistik rutschen, wenn sie sich ihren Anspruch auf Arbeitslosgeld auszahlen lassen. Dies w?rden sie mit massiven Abschl?gen der Rentenzahlungen selbst ausbaden m?ssen. Die M?glichkeit der Fr?hverrentung ab 60 gilt allerdings nur f?r die Jahrg?nge bis 1952, Hauptzweck w?re demnach eine schnelle Statistik-S?uberung f?r die n?chsten Jahre.

Beitrag der „Profis der Nation“
Ziele sind „Bewusstseinswandel“ durch eine Werbekampagne, getragen unter anderem durch „11.000 Bundes-, Landes- und Kommunalparlamentarier, 1,7 Millionen Manager, 53.000 Geistliche“ – also der gesamten Truppe von Parasiten, die durch die Arbeit anderer Menschen viel Geld verdient, gesellschaftlichen Reichtum verprasst anstatt ihn zu erarbeiten. In diese Aufz?hlung einbezogen wurden auch – wohl kaum mit deren Zustimmung – die 90.000 Besch?ftigten der Bundesanstalt f?r Arbeit und 545.000 Vereine sowie 80.000 Gewerkschaftsfunktion?re und 89.000 Journalisten, von denen sich zumindest eine Minderheit von diesem Vorhaben distanzieren wird.