Streik an den Unikliniken in NRW: Gewerkschaftliche Solidaritätsaktionen nötig

Seit dem 4. Mai streiken Kolleg*innen der sechs Unikliniken in NRW für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE), der die Qualität der Pflege und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ermöglichen soll. 98,31% der ver.di-Mitglieder hatten für den Streik gestimmt. Die Stimmung bei den Streikposten ist kämpferisch, die Kolleg*innen sind entschlossen. Das Land NRW und die Unikliniken haben sich bisher kaum bewegt. Erst nach zwei Wochen Streik begannen die ersten Verhandlungen. In den Medien taucht der Streik kaum auf, die meisten Menschen haben nicht mitbekommen, was an den Unikliniken passiert. Das muss sich ändern.

Von Claus Ludwig, Köln

Die großen Stärken dieses Streiks sind die Entschlossenheit, der Mut und die Kreativität der Streikenden. Ein Besuch beim Streikposten, bei dem sich in Köln täglich Hunderte Kolleg*innen treffen, Workshops organisieren und diskutieren, ist eine ungeheuer positive Erfahrung. Doch die ökonomischen Auswirkungen auf die Kliniken sind begrenzt. Zwar sind OP-Säle und Stationen geschlossen und die Einnahmen sinken. Allerdings sparen sich die Kliniken auch einen Teil der Lohnzahlungen. Wenn die politisch Verantwortlichen entschlossen sind, den Streik abzuwehren, werden sie Mittel und Wege finden, die Verluste der Kliniken auszugleichen. Streiks im Gesundheitswesen und an Schulen und Kitas müssen politisch gewonnen werden, durch Druck aus der Gesellschaft.

Bisher hat der Streik in den Medien kaum stattgefunden. Diese Quasi-Blockade durch die Medien wird nicht von allein aufhören, die Aufmerksamkeit muss erzeugt werden. Angesichts der Wichtigkeit des Kampfes für alle – sowohl aus gewerkschaftlicher als auch aus der Sicht von Patient*innen – sind weitere Bereiche von ver.di und die anderen DGB-Gewerkschaften gefragt, die Solidarität auszuweiten. Besuche beim Streikposten sind ein guter Anfang, aber die Solidarität muss laut werden.

  • Die DGB-Gewerkschaften sollten per Flyer und Social Media die Belegschaften sämtlicher größerer Betriebe in den betroffenen Städten informieren und sie zur Solidarität aufrufen
  • An den Klinikstandorten sollten Demonstrationen organisiert werden, zu denen in allen Betrieben und öffentlich mobilisiert wird, um die Hunderten Streikenden durch Tausende Kolleg*innen zu unterstützen.

Der Streik an den Unikliniken in NRW knüpft an die jahrelangen Kämpfe der Berliner Kolleg*innen an. Wird er gewonnen, wäre das ein bundesweiter Durchbruch im Kampf um die Verbesserung der Arbeits- und Pflegebedingungen in den Kliniken. Doch das gilt auch andersherum: Wenn das Land NRW den Streik erfolgreich aussitzt, werden die Hürden für Kliniken in anderen Teilen des Landes höher.

Die gerade beendete Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst fand unter ähnlichen Bedingungen statt, auch über die Forderungen und Aktionen der Kolleg*innen aus den Kitas wurde kaum berichtet und wenn, dann nur im Zusammenhang mit dem Leid der Eltern durch die geschlossenen Kitas. Der Abschluss stößt bei vielen Kolleg*innen auf Kritik. Statt einer Höhergruppierung über die Entgeltgruppen gibt es lediglich Zulagen, viele Forderungen wurden gar nicht berücksichtigt oder auf 2024 verschoben.

Die seit Wochen mutig streikenden Kolleg*innen an den Kliniken haben sich die Unterstützung wahrlich verdient. Es ist an der Zeit, dass der Streik öffentlich sichtbarer wird. Dafür brauchen die Kolleg*innen die Unterstützung aller aktiven Gewerkschafter*innen.

Demokratische Strukturen

Bei der letzten Gehaltstarifrunde gab es viel Unmut über den Abschluss und darüber, dass ver.di die Ziele der Kolleg*innen nicht umgesetzt hat. Beim Streik für den TVE sieht es zunächst anders aus. Die Gewerkschaft hat die Beschäftigten an der Erstellung der Forderungen beteiligt, direkt am Streikposten sitzen die einzelnen Bereiche zusammen und konkretisieren ihre Vorschläge.

Über den „Rat der 200“ und weitere Strukturen wird zum Beispiel an der Uniklinik Köln die enge Rückkopplung mit der Tarifkommission organisiert. Zu Anfang, so berichten Streikende, waren viele Beschäftigte über das große Ausmaß demokratischer Beteiligung überrascht. Auf einmal sollten sie selbst sagen, wo es lang geht.

Die Forderungen in NRW gehen über das in Berlin erkämpfte Ergebnis hinaus. Die Entlastung soll nicht nur für die Pflege gelten, sondern für alle Bereiche der Kliniken, die Küche, den Patient*innen-Service, die Reinigungskräfte.

Kein Ausstieg aus dem TV-L!

In den Medien war zu lesen, dass das Land prinzipiell bereit wäre, den TVE abzuschließen. Dafür müsse man jedoch das Hochschulgesetz ändern, zudem müssten die Unikliniken aus dem Arbeitgeberverband der Länder und damit dem allgemeinen Tarifvertrag TV-L aussteigen. Das hört sich nach einem Versuch an, Zeit zu gewinnen, um die Dynamik des Streiks ins Leere laufen zu lassen.

Zudem ist das eine Falle: Wenn die Kliniken nicht mehr im TV-L sind, wären die in diesem Vertrag verbleibenden Kolleg*innen des Landes – angestellte Lehrer*innen, Beschäftigte der Ministerien, straßen.nrw usw. – geschwächt, aber auch die Beschäftigten an den Kliniken wären auf sich allein gestellt. Bereits die Trennung der Tarifverträge von Bund und Kommunen (TvöD) und Ländern (TV-L) führte zur Zersplitterung der Kräfte von ver.di und  schwächte die Kampfkraft in den Tarifrunden, was die Landesbeschäftigten etliche Jahre lang mit schlechteren Abschlüssen zu spüren bekamen. Der TVE widerspricht nicht dem TV-L, sondern ist eine Ergänzung. Dies umzusetzen stößt nicht auf rechtliche Hürden, sondern hängt einzig und allein davon ab, ob die Klinik-Arbeitgeber dazu bereit sind. Und das wiederum hängt vom Druck des Streiks ab.

Das Geld ist vorhanden 

Wir brauchen mehr Personal, mehr öffentliche Gelder für Gesundheit und Bildung. Die Kolleg*innen in diesen Bereichen brauchen eine deutlich bessere Bezahlung, grundlegend und aktuell angesichts der Preissteigerung. Die Kolleg*innen brauchen kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich, damit der Beruf nicht krank macht.

Gerade während der Pandemie sind die Reichen immer reicher geworden. Das Vermögen der zehn reichsten Personen bundesweit hat sich zwischen März 2020 und November 2021 von 144 auf 256 Milliarden Euro erhöht. 100 Milliarden Euro sollen auf einmal für neue Panzer, Raketen und Flugzeuge ausgegeben werden, aber uns wurde und wird erzählt, für bessere Pflege und Bildung sei leider kein Geld da.

Über die konkreten Forderungen der Tarifrunde hinaus setzen wir uns ein für:

  • 500 Euro mehr im Monat für alle Beschäftigten im Gesundheitswesen, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich
  • Finanzierung des Gesundheitswesens nach Bedarf – Weg mit den Fallkostenpauschalen (DRG)
  • „Mehr von uns ist besser für alle” Bedarfsgerechte gesetzliche Personalbemessung für alle Bereiche in Krankenhaus und Altenpflege
  • Gesundheitswesen in öffentliche Hand Rekommunalisierung der Krankenhäuser, Pharmaindustrie unter demokratischer Kontrolle in öffentliches Eigentum überführen, Keine Schließung von Krankenhäusern
  • Nein zur Zwei-Klassen-Medizin Abschaffung der privaten Krankenversicherung und Zusammenführung aller Kassen zu einer einzigen öffentlichen Krankenkasse unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch Beschäftigte, Gewerkschaften, Patientenvertreter*innen und die öffentliche Hand

Weitere Informationen:

Foto von Claus Ludwig